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Bewaffne sich, wer kann

In Südafrika hat jeder Dritte eine Waffe. Zur Selbstverteidigung. Jetzt will die Regierung das Waffengesetz verschärfen. Das Volk läuft Sturm  ■   Aus Johannesburg Kordula Doerffler

Das Geschäft mit Schusswaffen floriert. Für umgerechnet 300 Mark kann man schon etwas „Ordentliches“ bekommen

Nicolette du Toit zielt entschlossen. Ein Schuss peitscht durch die Betonhalle. Knapp neben das Herz wäre er gegangen, hätte wirklich ein lebender Mensch vor ihr gestanden. So hat sie nur ein Loch in ein Übungsplakat geschossen, das wenige Meter vor ihr hängt.

Die Jurastudentin lächelt, ein wenig verlegen, ein wenig stolz. Ihre Waffe beherrscht sie schon gut, nach nur vier Mal üben auf einer Schießanlage im öden Johannesburger Vorort Alberton. „Das reicht“, sagt die 21-Jährige. „Jetzt fühle ich mich sicherer.“

Seit ein paar Tagen darf Nicolette du Toit ihren kleinen Revolver benutzen. 50 Rand (15 Mark) musste sie für die Lizenz bezahlen und Übungsstunden nachweisen. Jetzt zählt sie zu den rund 2,5 Millionen Südafrikanern, die eine Schusswaffe besitzen. Vollkommen legal. „Ich will nur eine Waffe, um mich zu verteidigen“, sagt auch ihr Freund Robert Doig. „Beim nächsten Mal will ich mich wenigstens wehren können.“

Das erste Mal war im Februar. Morgens standen drei Männer in dem Laden, den sie gemeinsam in Johannesburg betrieben. Mützen hatten sie tief ins Gesicht gezogen, alle drei waren schwer bewaffnet. Einer hielt Robert die Waffe an die Schläfe. Der gab ihnen den Schlüssel zur Kasse. Mit 10.000 Rand zogen die Räuber ab. Dass im Safe fast 100.000 Rand lagen, wussten sie nicht. Glück im Unglück, lacht Robert.

Beim zweiten Mal kamen sie abends, wenige Tage später. Sie plünderten erneut die Kasse. Nicolette und Robert, beide Studenten an der RAU, der Afrikaansen Universität von Johannesburg, hatten genug. Sie gaben das Geschäft auf, mit dem sie ihr Studium finanzierten, und bewarben sich um einen Waffenschein. „Nur für Notwehr“, beteuern beide.

Man glaubt es ihnen. Die beiden sehen so brav aus wie Oberschüler. Was tun, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger zu schützen? „Die Polizei wollte nicht einmal Anzeige erstatten“, sagt Nicolette. Ein Bagatellfall, schließlich wurde niemand getötet. Alltag in einem der gefährlichsten Länder der Welt.

Südafrika hat es zwar geschafft, einen friedlichen Wandel von einem repressiven zu einem demokratischen System zu vollziehen. Seine Bürger aber fühlen sich bedroht. Jeder zweite Südafrikaner hat Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden, so eine neue Umfrage. Und das mit Grund. Statistisch gesehen, werden in Südafrika täglich 70 Menschen ermordet, mindestens die Häfte davon mit Schusswaffen. Durchschnittlich alle 20 Sekunden wird ein Verbrechen begangen, alle 30 Sekunden eine Frau vergewaltigt. Vor allem die Zahl der Gewaltverbrechen, schwere Überfälle und Morde, haben in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen.

Zugleich zählen Südafrikas Waffengesetze zu den liberalsten der Welt. Das allerdings soll sich jetzt ändern, geht es nach dem Willen der neuen Regierung von Präsident Thabo Mbeki. Künftig, so der Entwurf für ein neues Waffengesetz, soll eine Lizenz alle fünf Jahre verlängert werden müssen und außerdem mit 500 Rand sehr viel teurer werden. Auch das Verleihen einer Waffe, heute gang und gäbe, soll dann verboten sein.

Das neue Gesetz war noch nicht ausformuliert, da lief die Bevölkerung schon Sturm. Das alte Kabinett von Nelson Mandela hatte das Vorhaben jahrelang vor sich hergeschoben. Denn Südafrikas Waffenlobby ist mächtig, und die wuchernde Kriminalität ist eines der größten Probleme des Landes. Vor ein paar Wochen schließlich wurden Teile eines ersten Gesetzenwurfs bekannt und per Internet jedermann zugänglich, noch ehe der zuständige Minister für Sicherheit und Ordnung es gesehen hatte.

Seither hetzt die Waffenlobby eine Gesellschaft, die schon Jahrhunderte von Gewalt hinter sich hat, mit populistischen Sprüchen noch mehr auf. Sie fallen auf höchst fruchtbaren Boden. Denn Südafrikas Bürger befinden sich in einem ständigen „Krieg gegen Kriminalität“. Tagtäglich zieren neue Schauergeschichten über Verbrechen die Frontseiten der Zeitungen, in einer Sprache, der auf der Suche nach stets neuen Superlativen längst das Vokabular ausgegangen ist.

Die Brutalität der Täter ist erschreckend und hat die Bevölkerung abstumpfen lassen. Jemandem zu helfen, der gerade überfallen wird, empfiehlt sich nicht. Südafrikas Alltag ist gnadenlos. Mütter mit Babys auf dem Arm werden erschossen, am helllichten Tag, auf offener Straße, wehrlose alte Frauen werden vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Am Ende haben die Täter oft nur ein paar Pfennige erbeutet.

Polizei und Justiz sind ineffektiv, korrupt und von der Transformation in einen demokratischen Rechtsstaat hoffnungslos überfordert. Das Recht, sich selbst zu bewaffnen, halten viele Südafrikaner deshalb für selbstverständlich – schon aus Tradition. Die weißen Buren waren von jeher bereit, ihr Land mit der Waffe zu erobern und zu verteidigen. Für viele Schwarze indessen ist die Waffe bis heute ein Symbol der Befreiung, das man nicht freiwillig wieder hergibt.

Kein Wunder, dass die Kundgebungen der Waffenlobby gut besucht sind. „Wir befinden uns in einem Krieg um das Recht, dass sich gesetzestreue Bürger bewaffnen dürfen“, schreit der Vorsitzende der „Südafrikanischen Gewehrvereinigung“ (Saga), Chris Evans, dann aufgebrachten Waffenbesitzern entgegen. Das sind nicht nur ausgemusterte Mitglieder der alten Apartheid-Streitkräfte oder Besitzer einsamer Farmen. Selbst in der links-liberalen weißen Mittelschicht ist es nicht mehr verpönt, im Zweifelsfall mit einer Waffe seine Familie zu verteidigen.

„Wenn ich abends aus dem Haus gehe, habe ich immer ein Gewehr im Kofferraum“, sagt ein prominenter Anwalt in Johannesburg. Seiner Frau bleibt dann noch die Pistole, um sich bei Einbrüchen schützen zu können.

Selbst unter einstmals Liberalen denkt man laut darüber nach, ob der Staat ein Gewaltmonopol haben soll. Zugleich fordert man aber, dass die Regierung Ernst machen müsse mit ihren Versprechungen, die Kriminalität zu bekämpfen. Die meisten Südafrikaner halten sie – neben der hohen Arbeitslosigkeit – für das größte Problem des Landes. Gelingt es Thabo Mbeki nicht, sie in den Griff zu bekommen, wird die Demokratie instabil bleiben, darüber sind sich nicht nur die Sozialwissenschaftler einig. Dass das auch bedeuten könnte, die alltägliche Aufrüstung einzudämmen, lehnt die Mehrheit aller Südafrikaner in dieser Frage einhellig ab.

„Fast jeder Einbrecher ist bewaffnet und auch bereit, von seiner Waffe Gebrauch zu machen“, sagt eine bekannte Fernsehjournalistin. „Ich möchte wenigstens das Gefühl haben, dem nicht vollkommen hilflos ausgeliefert zu sein.“ Wirklich benutzt hat sie ihren Revolver noch nie. „Das hat viel mit Psychologie zu tun“, gibt sie zu. „Es gibt mir zumindest das Gefühl, sicherer zu sein.“

Tatsächlich schneller zu sein als ein Einbrecher, der mit gezogener Waffe vor einem steht, würden wohl die wenigsten schaffen. Die Aufrüstung im Alltag schreitet indessen fort. „Armed Response“, heißt es auf fast jedem Haus in Johannesburg, „es wird zurückgeschossen.“ Eine Armee von privaten Sicherheitsdiensten beschäftigt längst mehr Mitarbeiter als die Polizei. Natürlich sind alle schwer bewaffnet. Doch das reicht den Bewohnern der großen Städte nicht mehr. Sie wollen lieber auch selbst eine Waffe haben.

Diejenigen, die es wagen, die Aufrüstung im Alltag noch zu kritisieren, sind eine Minderheit, darunter auch die Kirchen. Jemanden wie Sheena Duncan, die Vorsitzende der „Vereinigung für ein gewehrfreies Südafrika“, halten die meisten für Spinner. „Die Gewaltspirale muss ein Ende haben“, fordert sie trotzdem hartnäckig. Auch der Oberrabbiner von Johannesburg, Cyril Harris, hält die Behauptung, dass man durch Selbstbewaffnung sicherer werde, für einen Mythos. „Das ist lächerlich. Jedes Gewehr ist gefährlich.“

Auf öffentlichen Veranstaltungen aber werden Waffengegner wütend niedergebrüllt, manchmal sogar angegriffen. Dort für eine Verschärfung der Gesetze einzutreten, erfordert schon Mut. Dessen ungeachtet verabschiedeten mehrere Organisationen Anfang dieses Jahres eine „Charta für Waffenkontrolle“. Das Geschäft mit Schusswaffen indessen floriert. Für etwa 1.000 Rand, umgerechnet 300 Mark, kann man etwas „Ordentliches“ bekommen.

Stolz zeigt Jaap Vunderink auf sein Arsenal. Als Waffenhändler aber will er sich nicht verstehen. In seinem Geschäft mit dem schönen Namen „Die Blou Meul“ (Die blaue Mühle) in Alberton gibt es vom Angelhaken über Camping-Ausrüstung bis zu halbautomatischen Gewehren alles. Würden die Gesetze verschärft, käme es zu schweren Umsatzeinbrüchen.

Südafrikas Alltag ist gnadenlos. Mütter mit Babys werden erschossen, am helllichten Tag, alte Frauen vergewaltigt

Der gemütliche, kleiderschrankgroße Mann redet sich plötzlich in Rage. 80.000 Arbeitsplätze hängen allein an der Waffenindustrie. Ob die Regierung das leichtfertig aufs Spiel setzen wolle, wo doch schon jeder dritte Südafrikaner arbeitslos sei? Und wie wolle der Staat seine Bürger dann schützen?

Seine Kundschaft reicht von 18-jährigen Schülern bis zu alten Frauen. „Das Hauptproblem sind aber doch nicht die, die bei uns eine Waffe kaufen, sondern die illegalen Waffen, die im Umlauf sind.“ Tatsächlich kommen zu den 2,5 Millionen legalen Waffen noch geschätzte vier Millionen illegale hinzu. Rechnet man das auf die erwachsene Bevölkerung um, hat jeder dritte Südafrikaner eine Schusswaffe.

Darunter sind auch hunderttausende von Kalaschnikows, die aus afrikanischen Krisengebieten über die mehrere tausend Kilometer lange grüne Grenze Südafrikas geschmuggelt werden. Auch aus den Zeiten des bewaffneten Kampfs sind noch gut gefüllte Arsenale vorhanden, dazu kommen Waffen aus Armee- und Polizeibeständen aus der Apartheid-Zeit. Vor allem die gut organisierten Gangs, die Geldtransporte überfallen und Autos entführen, benutzen gern Schnellfeuerwaffen.

Selbst die Regierung räumt ein, dass es schwierig ist, gegen die Waffenflut vorzugehen. „Wir konfiszieren ständig illegale Waffen“, sagt Captain Steve Mabatha von der Johannesburger Polizei, „aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Doch selbst in der Polizei hat man wenig übrig für die Reformpläne der Regierung, obwohl die Zahl der erschossenen Polizisten zu den höchsten der Welt zählt. Erst vor ein paar Monaten wurde ihr per Verordnung verboten, im Dienst so freizügig von ihren Waffen Gebrauch zu machen wie noch zu Apartheid-Zeiten. Der neue Minister Steve Thswete (ANC) will das nun wieder rückgängig machen und sogar durchsetzen, dass Polizisten auch nach Dienstschluss ihre Waffen tragen dürfen. Die öffentliche Debatte ist nun erst recht aufgeheizt. „Trotzdem werden wir die Gesetze verschärfen und zumindest dafür sorgen, dass es für Kriminelle schwerer wird, an Waffen heranzukommen“, sagt Bernie Faranoff, Thswetes Staatssekretär.

„Ich gebe meine Waffe nicht mehr her“, sagt Nicolette du Toit und umklammert ihren Revolver, „selbst wenn es verboten sein sollte.“ Im Zweifelsfalle, so beteuert die Studentin, würde sie ihn auch gebrauchen. „Wenn mich jemand vergewaltigen möchte, würde ich schießen.“ Lieber, so flüstert sie, möchte sie tot sein, als vergewaltigt zu werden.

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