: Braune Aussichten
■ Wahlprognosen für Bremerhaven: Geringe Wahlbeteiligung würde DVU stärken / SPD-Einbruch fast schon ausgemachte Sache / Alles spricht für große Koalition
Kurz vor der sonntäglichen Wahl der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung macht die DVU noch einmal Stimmung: „Gehen Sie, wenn möglich, ab 18 Uhr zur Stimmauszählung und passen Sie auf, um Fälschungen in Grenzen zu halten“, bittet der DVU-Spitzenkandidat Siegfried Tittmann seine Klientel. Für die AfB ist das Flugblatt eine glatte „Verunglimpfung“ der Wahlhelfer und sprengt den Rahmen des politischen Geschmacks. Doch die DVU sieht sich selbstbewusst im Aufwind. Auf mindestens sechs Prozent hofft Tittmann für seine Partei – die Demoskopen geben der DVU sogar fast zehn Prozent der Stimmen.
Die Prognosen sind deutlich: Auch in Bremerhaven wird die SPD eine Ohrfeige bekommen. 26 Prozent für die SPD ergab kürzlich eine Umfrage der „Bremer Bürgerbefragung“ (BBB) der Uni Bremen in der ehemaligen Hochburg der Sozialdemokraten. Die Telefoninterviews liefen Anfang September – noch vor den letzten beiden Wochenenden, vor den Ohrfeigen in Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Die Ergebnisse der SPD könnten also wohl noch tiefer in den Keller gehen, vermutet Holger Schneider von der BBB.
Vor vier Jahren holte die SPD noch knapp 30 Prozentpunkte, die CDU wurde damals zum ersten Mal stärkste Kraft mit knapp 37 Prozentpunkten. Jetzt werden der CDU satte 45 Prozent prognostiziert. Chancen auf SPD-Traumergebnisse wie bei der Bürgerschafts- und Europawahl (über 40 Prozent) schwinden für die Genossen.
Erschreckend sind aber vor allem die Werte der DVU. Dritt-stärkste Kraft könnte die DVU mit 9,5 Prozentpunkten knapp vor den Grünen (9 Prozent) werden. Die AfB käme nach diese Prognose nicht rein, für die FDP wird es kritisch: genau fünf Prozentpunkte.
Wie wurde die Arbeit der drei DVU-Abgeordneten bewertet, fragten die Demoskopen. Zehn Prozent fanden die Arbeit „eher gut“. Das ist selbst für rechte Gruppen viel, sagt Schneider und vermutet ein großes Wählerpotential. 40 Prozent fanden die Arbeit weder gut noch schlecht. Allerdings waren auch die DVU-Wähler nicht hundertprozentig von der guten Arbeit ihrer Abgeordneten überzeugt. Nur ein Viertel von ihnen bekundet, die Arbeit der DVU habe der Politik gut getan. Etwa die Hälfte wollte sich kein Urteil erlauben. Das könnte auf reine Protestwähler hindeuten, vermutet Schneider.
Insider schätzen, dass die DVU in absoluten Zahlen nicht mehr als 2.700 bis 3.000 Wähler mobilisieren kann. Ist die Wahlbeteiligung hoch, wären die Prozentanteile und Sitze der DVU nicht allzu gravierend. Tittmann hofft aber, vom allgemeinen Abwärtstrend der SPD zu profitieren: „Wir haben ein großes Klientel aus SPD-Schichten.“ Nach den SPD-Misserfolgen könnten die Protestwähler seiner Meinung nach noch wachsen.
Nach den Analysen der BBB rekrutiert sich in der Tat knapp ein Drittel der DVU-Wähler aus der SPD. Nur 14 Prozent kämen in Bremerhaven von der CDU. Auch die Bundespolitik wird einen starken Einfluss auf die Kommunalwahl in Bremerhaven haben, bestätigt die Umfrage der BBB. Fast 40 Prozent gaben an, sich bei der Wahl von der Bundespolitik leiten zu lassen. „Davon waren wir sehr überrascht“, gesteht Schneider. Sonst geht es bei Kommunalwahlen eher um die Probleme vor Ort.
Die Zusammensetzung der DVU-Wähler ließe sich wegen geringer Fallzahlen nur als Tendenz verstehen, sagt der Demoskop. In der Regel sind Tittmanns Wähler männlich, zwischen 55 und 64 Jahren, mit niedrigem Bildungsabschluss und ohne Job. Schneider rechnet einen Großteil zu den Protestwählern: „Um Regierungsbeteiligung geht es den meisten DVU-Wählern nicht“, denn auch die wünschten sich in der Regel eine große Koalition. Schwierig sind Aussagen über die Wahlbeteiligung, von der letztlich die Stärke der DVU in der Stadtverordnetenversammlung abhängen wird: Um 50 Prozent vermutet Schneider.
Bei den Protestwählern ist vor allem die Unzufriedenheit mit Arbeitsplätzen (52 Prozent) groß. Finanzmisere (15 Prozent), Ocean Park, Innenstadt-Umgestaltung und Ausländer (jeweils um die fünf Prozent) rangieren in der Wichtigkeit mit Abstand dahinter. Eine Lösung dieser Probleme traut man keiner Partei zu – abgesehen von der vermuteten Kompetenz der CDU fürs Finanzielle. Nächster Knackpunkt: Wird Bremerhaven durch den Magistrat und durch die Bremer Landesregierung gut vertreten? Fast die Hälfte antwortete mit „teilsteils“, fast ebenso viele sagten „eher schlecht“, die meisten davon DVU-Wähler.
Nur bei der Wunschkoalition herrrscht große Einigkeit: 51 Prozent wünschen sich eine große Koalition. „Das ist schon ziemlich deutlich“, sagt Schneider. Schließlich waren alle Phantasiekombinationen erlaubt. Auf rot-grün entfielen in Bremerhaven nur knapp sieben Prozent. pipe
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