„Alle meckern, bis die neuen Ideen tot sind“

■ Die taz lud Quartiersmanger und ihre Kritiker vom Boxhagener Platz in Friedrichshain zum Streitgespräch: Während die einen versuchen, die Bevölkerung bei ihren Vorhaben einzubinden, kritisieren die anderen das Quartiersmanagement als „Allheilmittel“, das eine Lösung der Probleme vorgaukelt

taz: Herr Tragsdorf, Sie tragen gar keinen Anzug. Haben Sie heute keine Jobs akquiriert?

Thilo Tragsdorf: Dafür braucht man keine Anzüge.

Ihr Auftraggeber Stadtentwicklungssenator Strieder ist da anderer Ansicht: Er hat gesagt, Quartiersmanager müssten auch mal Anzüge tragen, um bei den Unternehmen im Quartier einen guten Eindruck zu machen.

Tragsdorf: Das hat er wohl eher sinnbildlich gemeint. Was wichtiger ist als äußere Staffage, ist inhaltliche Kompetenz.

Was haben Sie bisher als Quartiersmanager am Boxhagener Platz erreicht?

Tragsdorf: Was meinen Teil, also die Wirtschaftsförderung und die Initiierung von arbeitsmarktpolitisch sinnvollen Projekten, betrifft, haben wir uns einen Überblick über die Wirtschaftsförderstruktur verschafft. Wir haben für das Gebiet eine Gewerberaumbörse geschaffen und erarbeiten Konzepte, Gewerbe neu anzusiedeln und damit auch Arbeitsplätze zu schaffen. Darüber hinaus haben wir ein breites lokales Bündnis für Beschäftigung, Arbeit und Qualifizierung initiiert. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Einwerbung von finanziellen Mitteln.

Frau Hausotter, was machen Sie beim Quartiersmanagement?

Erika Hausotter: Mein Part betrifft Fragen des Wohnens, des Umfelds, aber auch Bereiche wie Gesundheit, Kinder und auch die Beteiligung aller, die hier leben und arbeiten oder hier Eigentum haben. Sie sollen in eine Diskussion über Schwerpunkte des Handelns eingebunden werden.

Was haben Sie unternommen?

Hausotter: Zugehört. Das heißt, wir machen auf dem Boxhagener Platz Stände und sind mit den Bewohnern ins Gespräch gekommen. Die Resonanz war überraschend positiv. Zum Zweiten haben wir begonnen, mit allen Initiativen und Gruppen, die es hier gibt, Gespräche zu führen.

Frau Böhm und Herr Zutz, wie bewerten Sie diese Aktivitäten?

Yvonne Böhm: Natürlich ist Kommunikation wichtig. Aber wenn ich mir ansehe, wie das Quartiersmanagement hier reingesetzt worden ist, war das nicht besonders kommunikativ. Es gab zwar eine Ausschreibung, wo sich auch die Initiativen, die hier schon seit Jahren arbeiten, hätten bewerben können. Aber da waren Sachen gefordert, die ehrenamtliche Initiativen kaum erfüllen können.

Axel Zutz: Ich glaube nicht, dass das ein taugliches Instrument ist, um die Probleme hier zu bewältigen. An den Ursachen, die für die Probleme verantwortlich sind, wird sich dadurch wenig ändern.

Was sind denn die Ursachen?

Zutz: Es findet hier zum Beispiel ein Wechsel der Bewohnerstruktur statt, die Mieten steigen, es wird rigoros privatisiert. Es gibt Sparhaushalte, die die kommunale Infrastruktur langsam zu Grunde gehen lassen. Bei den Schulen und Kitas gibt es zum Beispiel einen Sanierungsbedarf von Millionen, der sich jedes Jahr vergrößert. Das sind natürlich Punkte, die als Kritik der Anwohner auch ins Quartiersbüro fließen, aber es war auch von Anfang an klar, dass angesichts des Budgets nicht alles zu bewältigen ist und dass das auch nicht der Rahmen ist, in dem das bewältigt werden kann.

Es gibt ja immerhin mit der Bezirksverordnetenversammlung ein Kommunalparlament und eine Verwaltung, die dafür zuständig sind, sich der Probleme des Stadtteils anzunehmen. Die Kritik ist daher auch, dass einem auf einer quasi privatisierten Ebene öffentlicher Aufgaben etwas vorgegaukelt wird, was sich hinterher nicht halten lässt.

Frau Hausotter, Strieder argumentiert, dass das Hauptproblem im Kiez die selektive Abwanderung sei und die Lösung, Angebote für Besserverdienende zu schaffen. Stimmen Sie zu?

Hausotter: Da hat Herr Strieder sicher alle Quartiersmanagement-Gebiete in einen Hut geworfen. Jedes dieser Gebiete hat eigene Probleme. Rund um den Boxhagener Platz gibt es sicher auch die Abwanderung. Aber es gibt nicht die einfache Lösung, dass man hier andere Leute reinholt und dann alles besser wird. Mit dem Zuzug Besserverdienender in teure Wohnungen ändern sich nicht die Probleme derer, die im Quartier wohnen. Und wenn Strieder meint, hier sollen Familien mit zwei Kindern einziehen, muss man sich nur mal die Wohnungen anschauen. Das ist ein Quartier mit überwiegend kleinen Wohnungen, das immer wenig Familien hatte.

Michael Stiefel: Das Problem ist doch ein ganz anderes. Wenn in Berlin einmal etwas Neues gemacht wird, dann meckern alle so lange, bis die neuen Ideen tot sind. Unser Konzept haben wir schon oft, auch bei der AG Kiezentwicklung, vorgestellt und gesagt, dass es ein Prozess ist, der im Gehen entsteht. Aber es soll alles bereits auf Papier sein, bevor es läuft, soll also von vornherein in Grund und Boden kritisierbar sein. Dazu kommt dieses Bedürfnis in diesem Kiez, Klarheit über das Freund-Feind-Schema zu haben.

Zutz: Mir geht es nicht um ein Feindbild. Mir geht es darum, dass uns hier Quartiersmanagement als ein Allheilmittel angeboten worden ist , während gleichzeitig um uns herum die öffentliche Infrastruktur verfällt.

Stiefel: Es gibt einfach viel zu wenig Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass ein soziales Gemeinwesen aus etwas anderem besteht als aus staatlichen Fördertöpfen und Geldprogrammen. Manche Probleme sind auch entstanden, weil die verschiedenen Instrumentarien nicht richtig funktionieren. Weil die Dinge, die im Stadtteil notwendig sind, nicht von der Politik aufgegriffen werden. Unser Anliegen ist, bei allen Menschen, die hier leben und arbeiten – und nicht nur bei einer ganz bestimmten Klientel – hinzuhören, was für Ideen da sind.

Zutz: Aber der Zustand hier geht an die Grundlagen des sozialen Gemeinwesens. Man kann noch so gut zuhören, mit Eigeninitiative ist nicht wegzukriegen, was runtergewirtschaftet wurde.

Hausotter: Das sind doch zwei unterschiedliche Ebenen. Für die finanzielle Ausstattung des Bezirks ist die Politik der richtige Ansprechpartner und nicht wir.

Herr Zutz kritisiert, dass es sich hier um die Privatisierung öffentlicher Aufgaben handelt. Herr Tragsdorf, Sie waren früher bei der bezirklichen Gewerbeförderung, jetzt sind Sie Quartiersmanager. Ist das eine originär kommunale Aufgabe?

Tragsdorf: Ein Großteil der Aufgaben wäre durch Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst nicht zu leisten. Da gibt es eine Vielzahl von Vorschriften und Bestimmungen, die Angestellte und Beamte hemmen und dazu führen, dass diese Arbeit durch Private effizienter gemacht werden kann

Stiefel: Viele der Instrumente, die der öffentlichen Verwaltung zur Verfügung stehen, haben defensiven Charakter. Zum Beispiel ein Bebauungsplan und der Milieuschutz sind dazu da, um sinnvolle Grenzen für privatwirtschaftliches Handeln zu schaffen. Was diese Instrumente in aller Regel nicht können, ist, Entwicklungen in Gang zu setzen. Wenn ein Investor eine Baugenehmigung bekommt, braucht er noch lange nicht bauen. Deshalb ist es sinnvoll, eine solche Vermittlungsfunktion zu haben, wie wir sie übernommen haben.

Ist da was dran, Herr Zutz?

Zutz: Natürlich wird das Bezirksamt die Eltern nicht auffordern, das Schulklo zu streichen oder Sponsoren zu suchen. Für das Amt gibt es Grundlagen, die soziale und verwaltungstechnische Standards gewährleisten, an die ein Quartiersmanager nicht gebunden ist. Deshalb ist das auch ein Stück Deregulierung.

Stiefel: Aber es werden doch Menschen, die sich gerne engagieren würden, durch die bürokratische Verfahrensweise blockiert. Da wollen wir eingreifen.

Quartiersmanagement eröffnet also Spielräume für unkonventionelles Herangehen, das ist eine Deregulierung im positiven Sinn. Aber bedeutet das nicht auch eine Amerikanisierung der Verhältnisse? Geht es nicht immer mehr darum, die Probleme zu moderieren statt sie zu lösen?

Zutz: Genau das. Es geht ja nicht nur darum, Menschen zu finden, die etwas tun möchten, sondern auch daraum, Menschen zu verpflichten, etwas zu tun. Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose werden auf Grund der neuen Gesetzgebung dazu gezwungen, Jobs anzunehmen. Normalarbeitsstellen als Hausmeister oder im Gartenbau werden von den Wohnungsbaugesellschaften oder dem Grünflächenamt abgebaut und durch deregulierte, entrechtete Jobs ersetzt. Das ist die Zukunft.

Hausotter: Wir sind natürlich nicht in der Lage, Narva wieder aufleben zu lassen oder neue Großbetriebe anzusiedeln. Aber man kann natürlich alles verdammen, was so etwas Ähnliches ist wie Eltern, die das Klassenzimmer streichen. Das muss so lange schäbig aussehen, bis ich durchgesetzt habe, dass die Schulverwaltung ihrer Pflicht nachkommt.

Herr Zutz, würden Sie jahrelang warten, bis Sie ein Klassenzimmer streichen würden?

Zutz: Natürlich nicht. Bloß ich kann in meiner Freizeit nicht das Kita-Dach neu decken. Und wenn Sie sagen, Frau Hausotter, das ist nicht Ihre Aufgabe, muss ich widersprechen. Das ist nach der Ausschreibung Ihre Aufgabe. Aber ich denke, dass es in diesem Modellprojekt auch um einen Paradigmenwechsel geht .

Stiefel: Unsere Aufgabe ist es, das Engagement von Eltern zu unterstützen. Was ist daran schlecht?

Zutz: Ein aktuelles Beispiel: Es gibt seit Jahren das Problem, dass im Sandkasten der Spielsand nicht regelmäßig ausgetauscht werden kann. Da ist Hundepisse drin, das ist für kleine Kinder richtig gefährlich. Der Jugendstadtrat sagt jetzt: Dafür haben wir das Quartiersmanagement, die können sich doch mal was ausdenken.

Stiefel: Wir haben ja schon angefangen zu gucken, was für den Spielplatz notwendig ist. Vielleicht kommt jetzt eine Aktion mit Eltern und dem Bezirksamt zu Stande, mit dem Ziel, dass Türchen verhindern, dass Hunde auf den Spielplatz laufen.

Herr Zutz, wollen Sie diese Unterstützung überhaupt?

Zutz: Ich wüsste nicht, wie mich das Quartiersmanagment in meinen Engagement unterstützen könnte. Ich bin Vater einer zweijährigen Tochter in einer kommunalen Kita und wir kämpfen tatsächlich für einen anderen Haushalt hier im Bezirk.

Frau Hausotter, was muss passieren, damit Sie in zwei Jahren sagen können, dass Ihre Arbeit sinnvoll war?

Hausotter: Wenn viele Aktivitäten entstanden sind, wenn sich die Gruppen weiterentwickelt und gefestigt haben, wenn die Arbeit weitergeht. Wenn sich so etwas wie ein Bürgersinn wieder entwickelt, und damit ist auch die Frage gemeint, ob man einen Kühlschrank einfach auf die Straße legt oder ob man ihn entsorgt.

Was sind Ihre schlimmsten Befürchtungen, Herr Zutz?

Zutz: Dass sich das Quartiersmanagement etabliert und zunehmend öffentliche Aufgaben übernimmt. Das Gespräch führten
Sabine am Orde und Uwe Rada