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Die Welt steckt voller Überraschungen

■ Reportagen und Berichte, die sich jenseits des voyeuristisch-touristischen Blicks auf Besonderheiten einlassen: Die Bücher von Picus Lesereisen

Was uns der Trend zum kleinen praktischen Pocket-Reiseführer mit schnell verderblichem Serviceteil und rudimentären Infos zum Land vorenthält, bieten Picus Lesereisen: das Einlassen auf eine Region, eine Stadt. Die handlichen, kleinen Bücher – damit entsprechen auch sie dem Trend – geben sich in Reportage und Berichten mit scheinbaren Besonderheiten einer Region ab. Sie fokussieren. Und genau dadurch gelingt ihnen das Porträt einer Stadt, eines Landes. Zumeist von Landeskennern geschrieben, Korrespondenten, deren tägliches Brot die politische und alltägliche Ännäherung ist, zeichnen sie den Gegenstand ihrer Betrachtung mit feinen Linien.

Beispielsweise „Boulevard der tausend Kulturen – Szenen aus Los Angeles“: Thomas Schuler, New-York-Korrespondent der Süddeutschen, heute Redakteur der Berlin Zeitung, beschreibt die unterschiedlichsten Stimmungen und Strömungen der kalifornischen Metropole. Er schreibt über Stadtteile, deren Upper-Class-Bewohner sich aus Sicherheitgründen selbst ein- bzw. aussperren, von Kindern, die schon mit 13 Jahren Schönheitschirurgen aufsuchen, von Fernando Valley, wo das Pornogeschäft freundlich boomt, oder von den Hahnenkämpfen zwischen der wachsenden Zahl von Latinos, im Establishment aufgestiegenen Schwarzen und Asiaten. Eine spannende Annäherung an das Lebensgefühl und den Lebensstil einer Stadt. Eine journalistische Annäherung, die sich hervorragend liest.

Ganz anders die Beschreibung „Bis ans Ende der Welt – zu Fuß auf dem Jokobsweg“ von Rene Freund. Wanderbeschreibung sind ein schwieriges Metier: Was dem Wanderer Kontemplation und Naturerfahrung, ist dem Leser oft nur schwer oder schwerfällig zu vermitteln. Rene Freund gelingt es den Leser bei der Stange zu halten: mit angedeuteten Geschichten von Menschen, die er auf dem Weg trifft oder auch nicht, mit eindringlicher Schilderung einzelner Etappen und Naturerlebnisse. So erfahren wir sachliches und informatives über den Pilgerweg, gefiltert durch persönliche Begeisterung und Frustration auf dem 1.500 Kilometer langen Fußmarsch. Die Mischung macht's. Der Weg nach Santiago de Campostela wird dem Leser mit all seinen Freuden und Schrecken nachvollziehbar.

Die Welt ist groß und weit. Und sie steckt voller Überraschungen und Merkwürdigkeiten. Das ist der Unterschied dieser Buchreihe zu den üblichen Reiseberichten und Reisebüchern. Diese wollen den Leser meist an der Hand nehmen und noch die geringsten die Schwierigkeiten beim Reisen überwinden helfen, Unverständliches glatt machen – mit langatmatigen Erklärungen, gebrauchsgerechten Serviceteilen. Bei Picus Lesereisen sind gerade Unterschiede das belebende Elixier der Reise. Sie fangen ein bisschen Welt, ein bisschen Gesellschaft ein. Facetten kompetent und gut geschrieben. Was der Reisende damit anfängt, bleibt ihm überlassen, vielleicht bleibt er ja auch gleich zu Hause, denn so weit wird er ohnehin nicht eintauchen. Mit der klassischen Rubrik „Lehnstuhlreisen“ haben die Bücher trotzdem wenig zu tun. Dazu sind sie zu nahe dran, zu dynamisch, zu journalistisch aufbereitet und nur selten beschaulich. Sie sind Literatur für die Reise, davor, danach oder mittendrin. Unbedingt empfehlenswert. Edith Kresta

Die Bücher in der Reihe Picus Lesereisen kosten 26 Mark. Neu erschienen sind neben den beiden oben genannten Titeln: Klaus Brill: „Die Köchin, die Pornodiva und der Papst – Römische Begegnungen“. Ralf Sotscheck: „Whisky, Seetang und karierte Röcke – Schottische Geheimnisse“.

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