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Dauerhaft depressiv

■ Der US-Comic-Künstler Chris Ware kommt zum Signieren nach Hamburg

Heute wird der amerikanische Comic-Zeichner Chris Ware im „Wahnsinn“-Laden in der Grindelallee seine in vielerlei Hinsicht exzeptionellen Hefte signieren. Die „ACME Novelty Library“-Comics fallen schon durch ihre ungewöhnlichen, stetig wechselnden Formate ins Auge: mal ein Supermann in goldfarbenem Prägedruck, mal Bild-Text-Montagen, die an alte Hobbyzeitschriften erinnern.

Die Gebrauchsgrafiken und eng gesetzten Texte, mit denen Ware die ersten Seiten seiner Comics versieht, sind hingegen eine Reverenz an die Massen-Illustrierten zu Beginn dieses Jahrhunderts. Die Versprechungen der prosperierenden Konsumgesellschaft werden ironisch gebrochen: wenn etwa ein Buch über die karrierefördernde Wirkung der Selbstjustiz beworben wird. Eingerahmt von derlei Anzeigen, Eigenwerbung, Bastelbögen, kruden gesellschaftlichen Kurznachrichten und selbsterdachten Leserbriefen lässt Ware seine meist depressiv gestimmten Protagonisten auftreten.

In Quimbies the Mouse erzählt der in Chicago ansässige Künstler die todtraurige Geschichte einer Maus mit zwei Köpfen, von denen einer immer hinfälliger wird und schließlich stirbt. Auf großformatigen Seiten werden in einer Vielzahl von kleinen Bildern und Panels Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der siamesischen Maus ineinander montiert. Auf der Suche nach einer Chronologie der Geschichte wird der Blick kreuz und quer über die Seite gezogen – eine „eindeutige“ Ordnung der Bilder findet er jedoch nicht. Dass es keine „richtige“ Reihenfolge des Geschehens geben muss, haben vor allem frühe Zeichner der amerikanischen Comic-Sonntagsseiten vorgemacht. Aber nicht nur das Seitenlayout, auch das Aussehen der Mausfigur huldigt Künstlern wie Georg Herriman, Winsor McCay und dem frühen Walt Disney.

Bedeutend kleiner im Format lässt Ware seine biografischen Schnipsel von Jimmy Corrigan. The Smartest Kid on Earth erscheinen. Das in überwiegend blaugrau und grüngrau getauchte bleischwere (Entwicklungs-)Drama kreist um den unglücklichen Jimmy, dem seine spärliche Kopfbehaarung ein infantil wirkendes und zugleich altersloses Aussehen verleiht. Jimmy ist aber nicht nur hässlich, sondern auch dauerhaft deprimiert. Am schlechtesten fühlt er sich, wenn er sonntagnachmittags mit seinem Vater ins Fast-Food-Restaurant muss. Vor tristen Vorstadtpanoramen schweigen sich die einsamen Männer dann Hamburger kauend an. Katja Lüthge

heute, 16 Uhr, Comic-Handlung „Wahnsinn“, Grindelallee 92

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