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Nach dem Goldrausch

Eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigt, wie sich die Apartheid in Südafrika auch auf Stadtplanung und Architektur ausgewirkt hat  ■   Von Jochen Becker

Und wie war's in Südafrika? Vom Flughafen bei Cape Town zieht sich auf dem Weg zu meinen Verwandten eine riesige Wellblech-Fundobjekte-Siedlung. Standspur und Mittelstreifen der Autobahn sind als Transportwege zu Fuß, per Fahrrad oder Einkaufswagen genutzt. Wenn schon keine festen Häuser oder Straßen in Khayelitsha gebaut werden, so versuchen die Behörden doch zumindest per vorab errichteter Stromnetze das Anwachsen der Siedlungen in vorgebahnte Wege zu leiten.

Meine Verwandten wohnen im „Erinvale County Estate & Golf Club“: Einlass mit Wachhäuschen, Abbremshubbeln in der Fahrbahn, die Schranke öffnet sich per Magnetkarte. Zwischen den Eigentumswohnungen am Hang fungiert der gewundene Golfplatz als großzügiges Abstandgrün. Die außerhalb gelegene Siedlung ist von einem bergigen Naturschutzgebiet umgeben, grenzt an das im 17. Jahrhundert gegründete Weingut „Vergelegen“ mit englischer Gartenanlage und ist ums Eck von einer Obstplantage abgeschlossen. Wird dort am Wochenende laut Fußball gespielt, hagelt es vom Estate Proteste. Die benachbarte Arbeitersiedlung stört das ansonsten so säuberlich segregierte Leben.

Das Hilfs- und Dienstpersonal ist black, die Handwerker sind meistens colored und die Chefs white. Nun sollen per Quotierung die bislang weniger Privilegierten bevorzugt werden, wobei die Aufteilung nach Hautfarben in umgekehrter Rangfolge fortgesetzt würde. Meine Verwandten wiederum hatten die anscheinend verwegene Idee, ihre Einliegerwohnung der Haushaltshilfe anzubieten. So könnte sie bei Abwesenheit das Haus hüten. Doch das sei nicht gestattet – das Dienstpersonal habe die Siedlung nachts zu verlassen.

Ohne Auto ist man an die Gated Community gefesselt, sodass ich jede Fahrt zur Shopping-Mall im amerikanischen Burgenstil nutze. Dort kaufe ich als erstes eine lokale Zeitung – meine Verwandten empfangen zwar vier Satellitenprogramme (ARD, ZDF, RTL, Sat.1), hatten aber noch Wochen nach dem Einzug keinen einzigen lokalen Sender programmiert. In der Zeitung finden sich täglich Polizeimeldungen über Raubüberfälle, Autoentführungen oder AK-47-Schießereien, die so selbstverständlich vermeldet werden wie Staus zur Rush-Hour: Effekte einer jahrzehntelang brutalisierten Gesellschaft, einer wenig respektierten Polizei und großer Armut.

„blank_____“ heißt eine Ausstellung über die kulturellen und architektonischen Leerstände des südafrikanischen Apartheidregimes im Berliner Haus der Kulturen der Welt, in die sich diese Beobachtungen einschreiben ließen. Das passionierte Forschungsprojekt unter der Leitung des Architekten und Philosophen Hilton Judin trifft auf ein weit verbreitetes Vakuum des Verschweigens, weshalb sich eine pure Architekturgeschichte verbot. Die „Topographie der Apartheid“ ist als Verweis-Labyrinth aus Fotos, Texten und Umsiedlungsplänen, Regierungsdokumenten, Modellen und historischem Videomaterial angelegt. Über 50 Personen erarbeiteten einen Bestandskatalog der südafrikanischen Gegenwart, die sich, von einer vierhundertjährigen Kolonialgeschichte der Festungen und rassistisch motivierter Deportationen durchzogen, auch nach der Befreiung 1994 als eine weithin gestörte Landschaft darstellt. Für das Rotterdam Architekturinstitut produziert, soll die Ausstellung schon bald nach Südafrika zurückkehren.

Eine S-Bahn verbindet sternförmig Cape Town mit dem Umland. Die 3. Klasse ist halb so teuer wie die erste, und eine zweite fehlt. Wie früher trennen sich hier „die Rassen“. Die Arbeitskraft wird auf den offenen Ladeflächen der LKWs transportiert. Ansonsten nutzt die „schwarze“ Bevölkerung Minibusse genannte Sammeltaxen. In den zwangsautonomisierten Townships – in der Großsiedlung Soweto leben immerhin 2,5 Millionen Menschen – entwickelte sich seit Mitte der 70er-Jahre eine unabhängige Struktur für Notversorgung sowie öffentlichen Nahverkehr. Nun bilden sich auch um die großen Bahnhöfe der Innenstädte herum zentrale Plätze: der Busparkplatz und der Markt. Hinzu kommen weiträumiger Bürgersteighandel sowie besetzte Schlaf- und Lagerplätze. An Stelle der bürgerlichen Öffentlichkeit greift die Informalisierung Fuß.

Kaum in Johannesburg angekommen, schon war ich Portemonnaie und Fotoapparat los. Danach hatte ich keine Lust mehr aufs Downtown-Schlendern, sondern wanderte ab ins Multiplexkino eines Suburbia-Shopping-Centers – und reihte mich so unwillkürlich ein in die Absetzbewegung der vorrangig „weißen“ Mittelschicht, aus dem Stadtzentrum hinaus in privat bewirtschaftete Konsumterrains und bewachte Büro-Ghettos, wo „Sicherheit“ zum Warenangebot gehört.

Früher fuhr die Mittelschicht zur Arbeit in die Hochhäuser der Innenstadt. Angesichts einer Mordrate, viermal so hoch wie in den USA, haben sie nun das Stadtzentrum aufgegeben. Die neuen Landschaften der Angst vor einem „Black Planet“ basieren auf Segregation, Privatisierung und Befestigungsbauten. Investitionen und kapitale Neubauprojekte fließen bevorzugt in die geschützten Terrains, sodass sich die Spaltung auf Jahrzehnte in Beton fixiert. Die Security-Industrie boomt, die private übertrifft die Anzahl staatlicher Polizei um das doppelte.

Das „South Western Township“ Soweto vor den Toren Jolburgs hatte ich mir wiederum nicht so groß vorgestellt. Die europäische Idee der Gartenstadt gab das Vorbild ab, doch statt Grün findet sich in den „Non-European residential areas“ vor allem Gestein. Zugleich liegen die 10.000fachen „Matchbox Houses“ mit Zeitungspapier als Tapete und ohne Wasseranschluss gutnachbarlich den wenigen Mittelschichtsvillen an einer Straße gegenüber. Nur die Häuser von Bischof Tutu und Winnie Mandela sind durch Mauern geschützt. In der weißen Suburbia ist es ist eine Klassenfrage, wo man sich situiert, und diese ist mit der Hautfarbe eng verknüpft. In Soweto hingegen scheint dies wie aufgehoben. Allerdings leben nicht hier, sondern etwa in Orange Farm südlich von Johannesburg die WellblechhüttenbewohnerInnen, die Ärmsten und Zugewanderten.

Bauten und Boden der Townships gehörten dem Staat. Unter Strafandrohung durften die Häuser nicht renoviert, ausgebaut oder bewirtschaftet werden. Als Protestform organisierten sich seit den 80er-Jahren um Busboykotts oder Mietstreiks herum soziale Bewegungen. Seit Einführung der allgemeinen Demokratie 1994 sind diese außerparlamentarischen Initiativen weggebrochen. Stattdessen entstanden andere Unternehmungen, wenn einige als Verlängerung der Wohnung ausgebaute Läden, ein neu eröffnetes Café sowie in Containern installierte Telefonstationen den Siedlungsteppich unterbrechen. Supermärkte sucht man auch weiterhin vergebens. Das Nachtleben fand hingegen schon früher in über 4.000 privat organisierten, zumeist illegalen „shebeens“ und „speakeasies“ statt. Janet Jacksons Video zu „Got' til it's gone“ zollt diesen intimen Clubs ihren Tribut.

Am Rande einer Gaststätte erzählen Souvenirverkäufer über das frühere Eingesperrtsein, die strengen Passgesetze und Auslasskontrollen. Erst jetzt dürfen sie ihr Land betreten. Destabilisierung, Verweigerung eines permanenten Ortes, ständig heimgesucht, entwurzelt, verschoben, an die Peripherie oder in „Stammesgebiete“ verbannt: Dreieinhalb Millionen Südafrikaner wurden zwangsweise umgesiedelt. Soweto war wie alle anderen Townships durch riesige Brachflächen von der weißen Wohnbevölkerung auf Distanz gehalten. Diese vom Native Affairs Department eingerichteten Pufferzonen mussten mindestens 500 Yards breit sein. Eine Schnellstraße sowie die S-Bahn brachte die Arbeitskraft zu den Goldminen und Dienstleistungsjobs in der City. Die Strecke führt durch unbesiedeltes Terrain, wo nicht einmal landwirtschaftliche Nutzung erlaubt war. Jolburg ist umzingelt von Goldminen, die eine wüste Landschaft hinterlassen. Mit dem Auffinden des ersten Goldes 1886 entstand die Stadt und ist nun eine Metropole, größer als Berlin. Ob nun 3,8 oder 4,5 Millionen hier wohnen, weiß keiner so genau.

Während die Direktinvestitionen in den Gürtel zwischen den beiden Großstädten abwandern, bildet sich im ehemaligen Central Business District eine neue mäandernde Kernstadt heraus. War Jolburg in der Boomphase seiner Moderne eine Stadt mit angloamerikanischen Geschäftsverbindungen in Korrespondenz zu den „weißen“ Wohnvierteln außerhalb der Kernstadt, werden jetzt neue Verbindung von den Townships sowie den Migrations- und Handelsrouten des restlichen Schwarzafrika her geknüpft. Offensichtlich wird hier Stadt im „farbenfrohen Grau“ (Lindsay Bremner) und mit spürbar ländlichem Einschlag neu erfunden. Oder sortiert sich die Segregation nur neu? „blank_____ architecture, apartheid and after“. Mit Fotos von David Goldblatt, Santu Mofokeng u. a., bis 17. 10., Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Die empfehlenswerte Begleitpublikation zu „blank_____“ , herausgegeben von Hilton Judin und Ivan Vladislavic, kostet in der Ausstellung 60 Mark.

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