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Im Schatten der großen Hertha

■  Dem Zweitligisten Tennis Borussia laufen nach zwar erfolgreichen, aber unansehnlichen Spielen die Zuschauer weg. Die Profis freuen sich schon auf die Auswärtsspiele, weil dort mehr los ist

Jan Schindelmeiser ist studierter Betriebswirt. Als solcher wägt der Manager des Fußball-Zweitligisten Tennis Borussia mit Vorliebe Aufwand und Ertrag ab. „Was zählt, ist das nackte Ergebnis“, gab er nach dem wenig ansehnlichen 1:0-Sieg seiner Mannschaft am Sonntag gegen Abstiegskandidat Oberhausen zu Protokoll. In der Tabelle stehen die Berliner nunmehr im engen Kontakt zu den drei Aufstiegsplätzen und damit voll im sportlichen Soll.

Hauptsache, gewonnen und drei Punkte eingesackt! Auch wenn es nicht viele Berliner mitbekommen haben. Lediglich 3.245 Zuschauer – Insider halten selbst diese kümmerliche Zahl für aufgemotzt – verloren sich im Charlottenburger Mommsenstadion. Zwar musste man den Borussen zugute halten, dass der wenige Stunden zuvor gestartete Berlin-Marathon sowie das parallel stattfindende Eishockey-Match der Capitals Interesse absorbierten. Doch die Besucherkurve sinkt. Zahlten zur Saisonpremiere im August gegen Karlsruhe noch knapp 5.200 Zuschauer Eintritt, so wollten den 2:0-Sieg gegen St. Pauli nur 4.600 Besucher sehen. Und jetzt Oberhausen. Der „angefressene“ Speck in der Zuschauerstatistik (der Borussen-Haushalt sieht einen Schnitt von 3.500 Besuchern pro Heimspiel vor) schwindet. Zugleich jene Hoffnungen, endlich ein wenig aus dem übermächtigen Schatten von Hertha BSC zu treten.

„Ich bin sicher, dass wir von der Hertha-Euphorie profitieren werden“, glaubte TeBe-Aufsichtsrat Jörg Henschel noch im Spätsommer, als der unumstrittene Hauptstadtrivale in die europäische Champions League einzog. Nun revidierte TeBe-Trainer Winfried Schäfer die hoch gesteckten Erwartungen: „Hertha gibt den Ton an.“ Schäfer weiß: Wenn erst die wirklich unattraktiven Gegner wie die Stuttgarter Kickers oder Mainz bei Sturm und Hagel ins Mommsenstadion reisen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Stadionränge weiter leeren.

Dabei hatten die Verantwortlichen bei TeBe nichts unversucht gelassen, um die Massen zu mobilisieren. Sie warben mit der gewaltfrei-liberalen Einstellung der eigenen Fans. Zwischen den Pflichtspielen ging der Zweitligist sogar „über die Dörfer“ und absolvierte ohne Gage zahlreiche Freundschafts- und Benefizspiele in Köpenick, Spandau oder Blankenburg, um neue Fans zu mobisisieren. Vor allem „neutrale“ Fußball-Enthusiasten, die sich bisher weder mit Hertha noch Union aus Köpenick, dem Stolz des Ostteils der Spree-Metropole, anfreunden konnten, lockten die Charlottenburger „Veilchen“ mit dem Versprechen: „TeBe – mehr als nur Fußball“. So präsentierte Stadion-Entertainer Juppi von der Ufa-Fabrik vor dem Oberhausen-Spiel ein ambitioniertes Musikprogramm rund um die brasilianische Sambatruppe Banana Mama. „Der Adrenalinspiegel hat nicht gerade gekocht“, meinte der Ufa-Mann beim Blick auf die passiv goutierenden Tribünengäste.

Der erste Fehlpass ihrer Mannschaft brachte sie mehr in Wallung und sie fingen wild an zu pfeifen. Und Trainer Schäfer musste schweren Herzens erkennen: „Das ist doch egal, wer da unten singt. Die Leistung meiner Mannschaft auf dem Rasen muss stimmen.“

Tut sie im Moment aber nicht. Die wenig euphorisierende Atmosphäre in der Mommsen-Gruft scheint dazu auch wenig geeignet. Weshalb sich die Profispieler schon auf die nächste Auswärtsfahrt nach Fürth freuen, wo es vor sicherlich 10.000 heißblütigen Franken um Punkte im Aufstiegskampf gehen wird. „Ich spiele mit Sicherheit lieber auswärts“, gestand der dann wieder einsatzbereite Copado. Wie er denken die meisten Kollegen: Lieber in der Fremde vom rasenden Volk fachmännisch ausgepfiffen werden, als zu Hause die vielen leeren Plätze zählen. Jürgen Schulz

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