: Europas Linke auf getrennten Wegen
■ Die Sozialdemokraten verfolgen unterschiedliche Konzepte. In Großbritannien will Premier Blair „überholte Ideologien“ über Bord werfen, in Paris dagegen setzt sein Kollege Jospin auf staatliche Fürsorge
Berlin (taz) – Die westeuropäische Sozialdemokratie entwickelt sich zusehends auseinander. Der französische Premier Lionel Jospin kündigte am Montag einen Linksschwenk an. Tony Blair, britischer Premier, unterstrich gestern beim Parteitag in Bournemouth, dass New Labour eine Modernisierungspartei ist, „frei von überholten Ideologien“.
Lionel Jospin will zukünftig die Rechte von Arbeitnehmern erweitern. So sollen „missbräuchliche Entlassungen“ erschwert und die Zahl befristeter Arbeitsverträge gesetzlich beschränkt werden. „Die Globalisierung“, so Jospin, „macht den Staat nicht machtlos.“
Andere Töne schlug Tony Blair an. Der britische Premier wiederholte seine Gemeinwohl-Rhetorik. Es gehe um „neue nationale moralische Ziele“ und darum, dass die Individuen „beides, ihre „Rechte und Pflichten“, akzeptieren. Blairs Vision vom zukünftigen Großbritannien enthält, so der britische Guardien, eine „kräftige Dosis“ US-amerikanischer Ideologie, nach der jeder Bürger nach seinem Talent und seiner individuellen Fähigkeit aufsteigen könne.
London und Paris rücken damit noch weiter als bisher auseinander. Moral und Anlehnung an die individualisierte US-Gesellschaft hier, mehr Arbeitnehmerschutz und staatliche Fürsorge dort – so kann man die Differenz beschreiben.
Am Rande des Parteitags hatte Peter Mandelson, Vertrauter von Blair, die SPD kritisiert, weil sie Gerhard Schröder bei der Reform des Arbeitsmarktes im Weg stehe. Andere Töne schlug die entmachtete Linke an. Sie kritisierte, dass die Partei nur noch Staffage für die TV-Inszenierung des Parteitages sei. Der Parteilinke Lord Hattersley sagte: „Die Wahrheit ist, dass Tony Blair der einzige Labour-Chef ist, der seine Partei nicht mag.“ Nicht nur in diesem Punkt dürfte Schröder Blair näher stehen als Jospin. SR
Berichte Seite 10
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