■ Kolumne
: Der Lime steht links

Ich saß mit meinem Freund Nago in der Bar an der Ecke Schulterblatt/Susannenstraße. „Du holst Getränke“, sagte Nago. Ich stand auf und bestellte geistesabwesend: „Zwei Wodka Lime, bitte.“ – „Wir haben kein Lime“. Ich schaute hoch. Die Barkeeperin, das war Nika! „Seit wann arbeitest Du nicht mehr bei den Cybernazis?“ fragte ich sie. „Aufgehört.“ Nika war einsilbig. Oft hatte sie angekündigt, bei der Online-Agentur aufhören zu wollen, die sie selbst die Cybernazis nennt, in Echt aber einen Anglizismus als Firmentitel trägt.

Ihren Sitz haben die Cybernazis in einer renovierten Fabrikhalle in Altona. Die Einrichtung hat ein syrischer Architekt gestaltet, über den der Ober-Cybernazi eine Ge-schichte im Design-Hipster-Blatt Wallpaper gelesen hatte. Die Schreibtische sehen aus wie im Politbüro, die Lampen sind angeblich aus der Requisite zu Drei Engel für Charly. Die Mitarbeiter werden mit Kameras überwacht, ihre E-Mails laufen über einen zentralen Kontrollrechner. Wer weniger als 50 Stunden in der Woche da ist, gilt als faul.

Dazu: Gemeinsame Wochenendausflüge nach Ibiza, Caipirinha-Runden nach Feierabend, Freitags legt ein DJ auf. Alle sind Freunde – und Freunde brauchen keinen Betriebsrat, Freunde beschweren sich nicht, wenn ihnen einmal weniger Lohn überwiesen wird. Warum auch? Sie haben keinen festen Arbeitsvertrag, die Lage der Wirtschaft ist schlecht. Durch ein Kooperationsmodell mit einer Promo-Agentur bekommt jeder Cybernazi im Jahr drei Cargohosen umsonst.

Nago, der zur Theke gekommen war, blätterte in einem Designer-Wirtschaftsmagazin, in dem die Cybernazis gefeiert wurden. „Die beste Idee des Kapitalismus seit dem Fließband“ meinte er, „die Kumpel-Strukturen der Alternative-Betriebe und deren Bereitschaft zur Selbstausbeutung – nur der Gewinn wird geteilt.“

Nikas neuer Freund Lennart kam in die Bar herein. Wie immer blendend gekleidet. Er grinste, als er uns reden hörte, dann sagte er: „Die Alternativ- Betriebe haben das Modell erfunden, die Cybernazis haben es missbraucht – und jetzt machen die früheren Alternativbetriebe es ihnen nach: Konrad erzählte mir gestern, dass bei ihm in der Redaktion nur noch Volontäre eingestellt werden. Das verstößt gegen jeden Tarifvertrag. Dabei galt das Blatt bei dem er arbeitet mal als links.“

Nago ging zum Tisch zurück, holte seine Tasche und zog ein Buch heraus: „Ein Rezensionsexemplar, das ich heute bei einem Gespräch mit dem Chefredakteur der Welt am Sonntag geklaut habe.“ Es war „Das Herz schlägt links“ von Oskar Lafontaine. „Ach so, links“, murmelte Nika, „der Lime steht links!“ – „Gut, dann vier Wodka Lime“, sagte ich.

Sebastian Hammelehle