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Eine deutsche Jugend

Heute stellt Hans-Jürgen Massaquoi seine einzigartige Autobiografie vor  ■ Von Georg Felix Harsch

Das Foto auf dem Schutzumschlag des Buches mutet bizarr an: Eine Gruppe kleiner Kinder in 30er-Jahre-Mode steht auf einem Schulhof. In der Mitte ein Junge, der ein Hakenkreuz auf seinem Pullunder genäht hat. Außer durch das Hakenkreuz unterscheidet er sich aber vor allem durch seine Hautfarbe von den anderen. Das afro-deutsche Kind auf dem Foto ist Hans-Jürgen Massaquoi, Autor der Autobiografie Neger, Neger, Schornsteinfeger.

Geboren wird Massaquoi am 19. Januar 1926 im UKE als Sohn einer deutschen Krankenschwester und eines liberianischen Diplomatensohnes. Bald verlässt der liberianische Teil seiner Familie Hamburg, und Massaquoi zieht mit seiner Mutter nach Barmbek. Dort erlebt er als Grundschüler den Beginn des Dritten Reiches und damit seinen immer weitreichenderen Ausschluss aus der Gesellschaft. Als Nicht-Arier kann er nach Abschluss der Volksschule keine weiterführende Schule besuchen und absolviert deshalb eine Lehre als Schlosser. Auch den Krieg erlebt Massaquoi in Hamburg. Nach der Befreiung durch die Briten arbeitet der frühere Swing-Boy als Saxophonist in verschiedenen Tanzorchestern, bevor er 1950 in die USA auswandert, wo er schließlich Chefredakteur von ebony, der größten afro-amerikanischen Zeitschrift, wird.

Diese außergewöhnliche Biografie hat Hans-Jürgen Massaquoi nun selbst aufgeschrieben und ihr den Titel Destined to Witness gegeben. Bezeugen kann der Autor aus seiner Perspektive als Außenseiter in der deutschen Gesellschaft nicht nur den rassistischen Wahn und die konformistische Feigheit seiner damals erwachsenen Zeitgenossen. Massaquoi berichtet nicht allein von seinem durch seine Einzigartigkeit und dem Rassismus der Umgebung beinahe zerstörten kindlich-pubertären Selbstbewusstsein, sondern auch von seinem Wunsch, dazuzugehören, der sich bei dem Siebenjährigen als Begeisterung für den Nationalsozialismus und so im Hakenkreuz am Pullunder ausdrückt. Und stets verbindet er in seinen Schilderungen das eigene Erleben mit den makrohistorischen Entwicklungen.

In kurzen Episoden, die nicht immer chronologisch aufeinander folgen, dokumentiert die Autobiogra-fie das (Über-)Leben des Autors und schreibt dabei Geschichte, wie sie so bisher noch nicht erzählt wurde. Etwa besucht der fünfjährige Massaquoi mit seiner Mutter Hagenbecks Tierpark und wird dort mit der „Kulturschau“ konfrontiert, in der „primitive Afrikaner“ ausgestellt sind. Unversehens wird er in dieser Situation, wie überhaupt oft in seinem deutschen Leben, selbst zum Spektakel. 1934 verjagt ihn eine eifrige Dame vom Spielplatz – im selben Jahr, in dem er dem „Führer“ vom Straßenrand aus zujubelt.

Immer wieder ist sein Leben bedroht. Und immer wieder ist es seine Mutter, die durch ihre Cleverness und ihre Liebe das psychische und physische Überleben ihres Sohnes gewährleistet, und so ist Massaquois Buch gleichzeitig eine Hommage an sie. Von ihr hat der Autor auch, wie er selbst sagt, seinen Hang zu deutschen Sprichwörtern geerbt, die, gemeinsam mit dem teilweise pathetischen Plauderton einzelner Episoden, den Erinnerungen einen manchmal etwas amüsanten idiomatischen Charakter verleihen. Trotzdem gehört dieses Buch in den Kanon des autobiografischen Schreibens über den deutschen Faschismus. Und als Hamburger Erinnerungen neben Die Bertinis von Massaquois Jugendfreund Ralph Giordano, wo sein Autor als „Mickey“ bereits verewigt ist.

heute, 20 Uhr, Museum der Arbeit; Hans-Jürgen Massaquoi: „Neger, Neger, Schornsteinfeger“. Meine Kindheit in Deutschland. Scherz-Verlag, Bern 1999, 416 Seiten, 39,90 Mark

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