Gestylte Verzweiflung

■ Die Bremer Schauspielerin Cornelia Petmecky spielt Nietzsche. Bei den humorigen Texten gelingt ihr das vorzüglich. Ans Tragische hätte sie sich besser nicht herangewagt

„Solang noch hübsch mein Leibchen, lohnt's sich schon, fromm zu sein. Man weiß, Gott liebt die Weibchen, die hübschen obendrein...“: Wer könnte dies neckischer, koketter, sinnlicher rezitieren als eine jung wirkende, schöne und ausdrucksstarke Frau wie die freie Schauspielerin Cornelia Petmecky? Mit diesen eher humorvollen, zumindest nicht bitteren Gedichten Nietzsches begnügt sie sich bei ihrem so genannten dionysischen Spiel „Bei der dritten Häutung“ aber leider nicht.

Sie wagt sich vielmehr zu den ernsteren Werken des Skeptikers vor, singt und spricht von Missgeschick und Müdigkeit, dann von Kampf und Niederlage, von Ekel und Einsamkeit. Und schließlich schreckt sie nicht einmal vor den finsteren und verzweifelten „Dionysos-Dithyramben“ des alternden und zunehmend verbitterten Dichters zurück: „Vergiß nicht, Mensch, den Wollust ausgelohnt: du – bist der Stein, die Wüste, bist der Tod ...“ Dies rezitiert die Schauspielerin feierlich und voller Inbrunst – und dennoch: Worte wie diese benötigen einen anderen Sprecher. Zu weit ist die Ausstrahlung Cornelia Petmeckys – ihre selbstbewusste, ausdrucksvolle Stimme, die stolze, sinnliche Körperhaltung – entfernt von dem hier beschworenen Lebensekel und der Todessehnsucht, um diese Sätze aus ihrem Mund noch glaubhaft klingen zu lassen. Wenn sie die Arme in die Höhe oder zur Seite streckt – eine Geste, die sie an diesem Abend häufiger einsetzt –, dann ist diese Bewegung denkbar weit vom eigentlich beabsichtigten Händeringen entfernt und erinnert vielmehr an ein Lo-cken, ein Empfangen. Die Persönlichkeit der Schauspielerin tritt hier in den Vordergrund und verzerrt den Aussagegehalt der von ihr zitierten Verse.

Trotzdem kippt die Darbietung aber keineswegs in die Lächerlichkeit ab. Das liegt am gelungenen Drumherum dieses Auftritts: Vor allem die Saxophon- und Keyboard-Stücke ihres Bühnenpartners Andreas Gohlke kommentieren Petmeckys Interpretationen überaus treffend. Das wird phasenweise noch durch Musik und Geräusche von einem im Hintergrund laufenden Tonband unterstützt: Windheulen, Kinderstimmen und Klavierklänge leiten beispielsweise die Lieder Zarathustras ein und werden dann zunehmend von eigenwilligen Saxophon-Kompositionen übertönt. Das Instrument klingt an dieser Stelle richtiggehend menschlich: es scheint aufzuleben, jauchzt, lacht, geht dann doch wieder in die Klage über, schluchzt, verwirrt sich, stolpert, stutzt, nimmt die Melodie erneut auf, singt sie, flüstert sie, gewinnt wieder an Kraft, an Sicherheit und Ruhe und geht schließlich auf in harmonischere Klavierklänge vom Band.

Von dieser musikalischen Untermalung abgesehen, will für die beabsichtigte Atmosphäre auch ein liebevoll ausgearbeitetes Bühnenbild sorgen: Mit bunten Federn oder Wolken bemalte Buchstaben „NIETZSCHE“ fallen da übereinander, lehnen sich gegeneinander und kringeln sich am Boden. Dazu kommen sehr überlegt eingesetzte Requisiten wie Fächer, Hut, Felljäckchen – und nicht zu vergessen die auf die jeweils vorgetragenen Verse abgestimmten Lichteffekte: Diese Bühnenshow ist perfekt, nur leider zu perfekt. Denn diese Vollendung in der Form hebt sich vom Inhalt, der damit transportiert werden soll, immer mehr ab: Todessehnsucht und Verzweiflung sind weder perfekt noch schön.

„Still! – Von großen Dingen – ich sehe Großes! – soll man schweigen oder groß reden.“ So pathetisch dieser Spruch Nietzsches auch klingt – er trifft den Kern der Sache doch recht genau. Und wer die „großen Dinge“ nicht wirklich nachvollziehen kann, der sollte davon vielleicht lieber schweigen.

Mona Clerico

Weitere Aufführungen am 1., 2. und 10. Oktober um 20 Uhr im Theater am Leibnizplatz