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taz-LeserInnen-Aktion

■ Wir haben euch unsere Stimme nur geliehen

Nach einem Jahr Rot-Grün fragen wir: Was halten Sie heute von unserer Regierung? Geben Sie Ihre Stimme noch einmal ab. Kurze Antworten an die taz, Stichwort Rot-Grün, Kochstr. 18, 10969 Berlin; Fax: (030) 251 93 16; E-Mail: lesertaz.de

Ob PDS, Grüne, SPD oder sonst eine Partei, die an die Macht kommen will, für jede gilt die gleiche Formel: Parteien sind wie Steine im Wasser, sie werden geschliffen, bis sie den kleinsten Widerstand leisten. Ob sich dies nun im Konsens ausdrückt oder darin, dass man alte Ziele über Bord wirft, alles ist Teil eines Schleifungsprozesses, nur dass er sich „Regierungsfähigkeit“ nennt.

Beispiel Joschka Fischer. Als es um Bundeswehreinsätze im Ausland ging, vermutete Joseph Fischer, damals noch Oppositioneller und nicht Opportunist, dass es sich um eine Maske handelte, wenn man von „humanitärem Einsatz“ spricht. Heute redet er selbst von humanitären Einsätzen.

Die Grünen sind derzeit das beste Beispiel, dass Parteien mit Machtambitionen geschliffen werden, dass die Macht einfach weiter fließen kann. Und führende SPD-Politiker haben erkannt, wie man das Schreckgespenst PDS zusammenfallen lassen kann: durch „Umarmung“, sprich Machtbeteiligung.

Die Grünen braucht es nicht zu wundern, dass sie in kein Landesparlament mehr eingezogen sind, wenn sie erst hoch und heilig versprechen, alles ganz toll zu machen (Atomausstieg, soziale Gerechtigkeit) und letztlich jedes Versprechen platzen lassen. Wenn die Grünen es nicht schaffen, ihre Ziele in der Regierung klar zu machen, was wollen sie dann noch an der Macht? Es sei denn, die Grünen sind nur noch eine Jobmaschine für einige Wenige. David Remer (16), Niedernberg

Die Wahl vor einem Jahr war meine erste und zugleich die letzte, bei der ich aus Überzeugung gewählt habe, statt meine Bürgerpflicht zu Gunsten des geringeren Übels wahrzunehmen. Die SPD konnte mich nicht enttäuschen. Mit jemandem an der Spitze, der so wenige Prinzipien hat wie Schröder, war nichts Besseres zu erwarten. Die Grünen dagegen konnten nichts machen, was nicht in meinem Sinn gewesen wäre – glaubte ich. Allerdings hätten sie spätestens mit Beginn dieses Jahres auf den Tisch hauen müssen, statt sich über denselben ziehen zulassen. Dann kam die opportunistische 180-Grad-Drehung von Fischer. Der Traum ist aus – auch in dieser Partei sind keine besseren Menschen.

Ich würde heute genauso wählen, aber nur, weil mir nix Besseres einfällt. Erbärmlich; also das ist Demokratie. Gudrun Roemer (21), Saarbrücken

Vor einem Jahr war ich glücklich: Gerade erst ins Wahlalter hineingerutscht, hatte ich mit meiner Stimme dazu beigetragen, was mir fast mit der Muttermilch als große Vision vermittelt wurde: Rot-Grün im Bund, das wär's. Schröder mochte ich nie und hoffte so auf starkes Grün. Jetzt hat die SPD das größte Problem nicht mit den Wählern, sondern mit sich selber: Lafontaine hat als Parteivorsitzender für Ruhe gesorgt und das Hickhack beendet. Für diese Strategie zahlt die SPD nun den Preis: Wer selber regieren muss, braucht eben ein Konzept und nicht eine ganze Hand voll.

Der größte gemeinsame Nenner war: an die Macht zu kommen. Der ist nun weg, und folglich verfolgt jeder sein eigenes Ziel. Linke sind eben auch keine besseren Menschen. Und in visionsarmen Zeiten scheint es schwer zu sein, Politik für alle und nicht nur für die eigene Interessensgruppe zu machen. Nun kommt spät, vielleicht zu spät, die Korrektur: Schröder spricht nicht mehr vom Ziel, jede Woche wiedergewählt zu werden, er spielt endlich Bundeskanzler und nicht mehr Interessensmoderator. In der Art hätte die Regierung von Anfang an Politik machen müssen: das Ziel vor Augen, daran festhalten und um Mehrheiten werben. Nicht nur zum Sparpaket, auch zu Staatsbürgerschaft, ökologischer Steuerreform und Atomausstieg gibt es keine Alternative.

Auch wenn sich die Grünen bis zur Unkenntlichkeit verbiegen lassen und (vor allem) im Umweltministerium handwerkliche Fehler sammeln wie der Normalbürger Briefmarken, bleibt meine Stimme bei Grün. Eine Alternative gibt es nicht, man kann nur das kleinste anzunehmende Übel wählen. In dem Jahr habe ich viele Illusionen verloren, aber ich höre nicht auf zu hoffen. Jochen Biedermann, Friedensdienst Leistender in Gdansk

Mit meiner damals 18-jährigen Tochter, aufgewachsen in „Kohlland“ und vor einem Jahr erstmals wahlberechtigt, habe ich damals viel über die möglichen Alternativen diskutiert. Ich habe gesagt: „Das wird mein letzter Anlauf, mich am Versuch zu beteiligen, diese Regierungskoalition mit diesem Bundeskanzler los zu werden.“

Bei aller Ernüchterung nach einem Jahr Schröder, von dem ich mir ohnehin nicht allzu viel versprochen habe: Für mich – und wahrscheinlich noch viel mehr für die unter Dreißigjährigen – war die Bundestagswahl '98 ein einschneidendes Demokratieerlebnis: Wechsel ist machbar (herbeiwählbar).

Die Geschichte der Grünen und das Erstarken der PDS zeigen: Auch in der Zukunft gibt es Optionen, an die wir heute vielleicht noch gar nicht denken. Andreas Scherer, Gau-Algesheim (Rheinhessen)

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