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„Schieß doch, Bulle!“

Cops gegen Knackis: Nach dem Bunte-Liga-Spiel der JVA-Mannschaft gegen das Polizeiteam Aachen Bulls verhindert nur der „Einschluss“ eine dritte Halbzeit    ■ Aus dem Knast Bernd Müllender

Als Fernsehkommentatoren wären erwünscht: Maurizio Gaudino (Hehlerei) und Erwin Kostedde (Raubüberfall)

Die Aachen Bulls konnten sich vor ihrem Auswärtsspiel am Mittwochabend in der Justizvollzugsanstalt Aachen des Mitgefühls sicher sein: Der lokale Hörfunksender meldete, die Polizei-Elf würde mit der Häftlingsmannschaft endlich „auf ihren natürlichen Gegner treffen“. Knackies gegen Bullen, ein Fantasie beflügelndes Match: Knacki X tackelt blutgrätschend den Kripobeamten Y, der ihn damals beim Bankraub überwältigte. Oder hat Kommissar Z noch eine Rechnung zu begleichen?

Als die Meldung vom nächsten Gegner im Polizeipräsidium eingetrudelt war, reichten die spontanen Kommentare von „Nein! Das ist ein Scherz, oder?“ bis „Du lieber Gott, wirklich?“. Weiter oben im Hause habe es schon Naserümpfen gegeben, nur weil man neulich mal gegen „Wim Kifft Berti Kokst“ spielte. Was in der Bunten Liga aber auch für Teams mitmachen! Und jetzt das! Achim Schmitz, Sportbeamter der JVA, musste einräumen: „Gegen die Polizei, das hat schon Brisanz.“

JVA Aachen, Männerknast, ein riesiger Neubau, 510 Plätze, dauerhaft ausgebucht mit „überwiegend längerfristigen Häftlingen“, wie es offiziell heißt; „Langzeitdiättreibende“ im zynelnden Justizlerjargon. Ein weiter Weg bis zum Sportgelände: unzählige Gänge, neondurchflutet düster, insgesamt 19 Türen. Eine nach der anderen aufschließen, durchgehen, warten, zuschließen. Und weiter.

Beim Umziehen sagt ein Kripo-Kicker: „Unterwegs hab ich schon einen gesehen, den ich mal eingelocht habe.“ Einer befürchtet rüpelhafteste Häftlingsattacken: „Dann sagt der Schiri: Beim nächsten Foul sind Sie draußen! Sagt der: Aber gern!“

Die Knackis sind verblüffend offen. Fast alle erzählen von ihren Delikten, keiner hat etwas gegen Fotos, sie nennen ihre schier ewigen Jahreszahlen. Selim (23), harmloses Jungengesicht: „Warum ich hier bin? Ja ... Mord.“ Dirk: „Gefangenenbefreiung. Missglückt, leider.“ Flapsig grinsend ein anderer: „Wegen schlechtem Anwalt.“ Und Bulut erzählt von seiner Flugzeugentführung, Air Malta, Köln-Wahn 1997, als der Papstattentäter Ali Agca freigepresst werden sollte. Bei der Mannschaftsbesprechung wollen sie allein sein. „Sonst kennen die Bulls unsere Foltermethoden schon vorher“, sagt der Coach.

Aschenplatz. Rundum Zaun und hohe Mauern wie woanders die Tribünen. Alter Joke: Wer drüberschießt, muss holen. Die Liga hat den fair gehandelten Ball gestiftet. Gemeinschaftliches Mannschaftsbild, ein Justizbeamter knipst fürs Familienalbum. Der Knastchef macht Ehrenanstoß. Es gelingt. Ein Knacki applaudiert.

Es wird ein ganz normales Fußballspiel zwischen den wannengrünen Bullen und den Knastlern in freiheitsneidendem Gelb. Engagiert, hart, manchmal giftig zu sich selbst und dem Ball. Ein Aufsichtsbeamter kommt zu spät. „Wie steht's?“, fragt er. „2:1 – für uns“, sagt ein Knacki. Identifikation durch Fußball: Wir in der JVA. „Schieß doch, Bulle!“, feuert einer den Gegner an. Als ein Beamter den Ball arg in den Magen bekommt und niedersinkt, kriegt er zu hören: „Das muss ein Bulle doch abkönnen!“

Kurz nach der Pause zwei überfallartige Konter der Villas, und Hamid (Überfall) trifft zweimal. Heftiger Jubel. Neben der Seitenlinie, in Haus 3, kommen ein paar Insassen an die Gitterfenster ihrer Zellen. Das vierstöckige Gebäude als Haupttribüne, beste Sicht. Die Zellen als VIP-Logen. Für Very Important Prisoners.

Die überlegenen Knackis haben zahllose Torchancen. Aber wie das so ist im Fußball: Zwei überraschend erfolgreiche Bullenschüsse in der Schlussphase, Abpfiff, 4:4. Und: Alles ist gut gegangen, natürlich. Ganze drei Fouls im völlig fair gehandelten Spiel. Alle sind zufrieden. Lachen, feixen, zwei gehen als Kunterbulls-Pärchen Arm in Arm vom Platz.

Eine gemeinsame dritte Halbzeit beim Bier? „Naja, das können wir hier leider nicht bieten“, sagt der Knastchef. Duschen. Umziehen. Zelle. „Einschluss“ ist um 21 Uhr. Die meisten Knackis wollen Champions League gucken. Micha von den Bulls sagt noch: Das hier hätte man live übertragen sollen, und als Co-Kommentatoren mal richtige Experten: Maurizio Gaudino (Hehlerei) und Erwin Kostedde (Raubüberfall).

Abschied von den vordergründig netten Jungs. Die endlosen Neongänge zurück. Wieder 19 Türen. Eine kracht endgültiger ins Schloss als die andere. Zurück in der Villa bleibt der gestiftete Ball.

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