Zwischen den Rillen: Alternativen der Abfallverwertung
■ I love NY: Jon Spencer und Royal Trux löffeln aus der Underground-Ursuppe
Der New Yorker Rock-Underground, der in den Achzigern seine Blütezeit hatte, legte stets Wert auf die eigene Kaputtheit, verstand sich als destruktiver Ausdruck von Großstadtentfremdung. Bands und Musiker wie die Swans, Sonic Youth, Foetus und Lydia Lunch loteten Extreme aus, hingen mit befreundeten Subkultur-Stars wie Richard Kern oder Mike Kelley ab und kultivierten ihren arty Heroin-Schick. New-York-Noiserock war das Schwarze unter den Fingernägeln eines aus den Fugen geratenen New York.
Eine der wichtigsten, gemeinsten, brutalsten und trashigsten Bands dieser Zeit war Pussy Galore, die Ursuppe, aus der sowohl Jon Spencer kommt als auch Royal Trux. Pussy Galore war nichts heilig. Blues, Punk und die Rolling Stones wurden so lange zermatscht, bis man deren unheilige Reste ohne Probleme in den nächsten Gully kippen konnte. 1992 waren Pussy Galore dann am Ende. Im gleichen Jahr gründete Jon Spencer seine Blues Explosion, den seit längerem erfolgreichsten und überzeugendsten Versuch, eine Art Neo-Blues mit Traditionsbewusstsein in den Neunzigerjahren zu installieren.
Hochprozentige Authentizität trifft auch auf der neuen CD „Acme Plus“ wieder auf den Drang zum Modernisieren. Während Blues-Legenden wie John Lee Hooker längst schlaffe, alte Säcke sind, ist Spencer ihr wahrer Erbe. Blues hat gefälligst roh, rauh und ungeschliffen zu sein – bei Spencer klingt er genauso. Extrem kaputt, heavy und trotzdem irgendwie modern.
Damit dieser New Yorker Großstadt-Blues nun nicht auch irgendwann anfängt, bloß noch traditionell zu klingen, umgibt sich Spencer gerne mit den richtigen Leuten, die mindestens genauso hip sind und vielleicht sogar noch mehr unerschütterliche Credibility angehäuft haben wie er selbst. Um der ganzen Welt zu beweisen, dass er in Wahrheit noch viel schweinecooler ist, als eh schon überall angenommen wird, brachte er 1995 sogar eine ganze Remix-EP heraus. James Lavelle vom damals superhippen TripHop-Label Mo Wax, Beck, Moby, Mike D von den Beastie Boys und Killah Priest vom Wu Tang Clan durften Spencer-Stücke remixen.
Mülleimer-Blues, der durch das Prinzip, mit dem moderne Dance-Acts sich gegenseitig unter die Arme greifen, Edelschimmel ansetzt – Altes mit neuer Legierung –, gibt es auch auf „Acme Plus“, auf dem Trash beinahe schon auf der Meta-Ebene verhandelt wird. Denn letztlich versammelt sich hierauf der Abfall, das Übriggebliebene, der Rest von „Acme“, der letztes Jahr erschienenen Jon-Spencer-Platte. Die Politur diesmal sind alternative Mixe von „Acme“-Stücken, exklusive Sachen und ein paar Remixe. Mike D, Moby, Produzentenlegende Steve Albini, alle sind sie wieder dabei, um das Recycle-Fest stilgerecht über die Bühne zu bringen. Zerfleddertes stilvoll zerfleddern, lautet die Devise. Somit ist „Acme Plus“ eine ganz besonders konsequente Blues-Explosion-Platte geworden. Konsequent, aber leider nicht viel mehr, denn, da hilft auch alles hehre Beteuern durch Name-Dropping nichts: Reste schmecken einfach immer ein wenig abgestanden.
Konsequent und mehr sind dagegen wieder einmal Royal Trux. Neil Haggerty hatte Pussy Galore frühzeitig verlassen, um mit Jennifer Herema 1988 als Royal Trux die erste Platte herauszubringen. Von dem Seminarmäßigen, das Jon Spencer gerne herauskehrt, war hier von Anfang an nichts zu spüren. Eher noch davon, selbst den Krach Pussy Galores nochmals zerstören zu wollen und eine Musik aus Scherben zu kreieren. In der Anfangszeit der Band spielten harte Drogen noch eine tragende Rolle, und totale Selbstzerstörung war naheliegender als der Aufbau einer irgendwie konstruierten Musik.
Das hat sich alles längst geändert. Royal Trux haben inzwischen eine Anzahl von abgefuckten Rock-Klassikern vorgelegt. So dreckig, bodensätzig und voller dekadentem Glamour waren die Rolling Stones selbst in ihren besten Tagen nicht wie diese Band seit ein paar Platten.
„Veterans Of Disorder“ ist im Sinne dieser Entwicklung sicherlich kein Höhepunkt, der ist schon längst erreicht, aber ein wichtiger Beitrag zur Konsolidierung einer musikalischen Ausdrucksform, die wirklich nichts mehr erschüttern mag, und die den Vorwurf, abgestanden zu stinken, bloß als Kompliment auffassen kann.
All diesen gerotzten Wahnsinn aus AC/DC-Schweinerock, Zerstörungsliebe – ganz ohne Wut – gibt es nicht als Authentizitätsanbiederung, sondern höchst artifiziell. Das hier ist Kunstkrach in höchster Unreinheit. Keine Strebermusik wie die von Jon Spencer, sondern die locker aus dem Ärmel geschüttelte, ewig coole Geste. Die Frage, ob so Rock 'n' Roll für die Neunziger klingen soll, stellt sich hier nicht. Diese Musik klingt eh wie aus einer ganz anderen Zeit, oder besser: zeitlos. Genau deshalb haben Royal Trux, anders als Jon Spencer, keine Angst davor, von den eigenen Wurzeln eingeholt zu werden. Und auch nicht davor, bloß Überlebende eines Mythos zu sein.
Andreas Hartmann
Jon Spencer Blues Explosion: „Acme Plus“ (Mute/Intercord), Royal Trux: „Veterans Of Disorder“ (Domino/Zomba)
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