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Der Wandel zur Demokratie steht noch bevor

■ Seit dem Tod von Deng Xiaoping vor zwei Jahren plädiert Shang Dewen, Professor für Marxismus und Ökonomie an der Pekinger Uni, für eine Verfassungsreform und mehr Gewaltenteilung in China

taz: Ist die KPCh immer noch eine kommunistische Partei?

Shang Dewen: Die Partei hat sich verändert, weil Deng Xiaoping, der von 1978 bis 1997 an ihrer Spitze stand, eine andere Politik als zuvor Mao Tse-tung verfolgte. Das drückt sich nicht so sehr im Statut der Partei oder in Parteitagsbeschlüssen aus, die kontinuierlich vom Aufbau des Sozialismus sprechen. Die große Veränderung liegt in der Praxis. Hier hat sich erstens die Zusammensetzung der Parteimitglieder verändert. Früher bestand die KP aus Arbeitern, Bauern und Intellektuellen. Heute gehören ihr auch viele reiche Unternehmer und Geschäftsleute an. Man kann gleichzeitig Kommunist und Milliardär sein. Das war früher unmöglich. Zweitens sieht sich die KPCh nicht mehr als Teil einer kommunistischen Weltbewegung, sondern verfolgt ausschließlich nationale Interessen. Früher unterstützte China andere sozialistische Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika. Stattdessen schließt man heute Verträge mit kapitalistischen Ländern. Drittens ist die innerparteiliche Disziplin verloren gegangen. Die Mitglieder führen kein regelmäßiges Organisationsleben mehr. An der Basis finden Sitzungen nur noch zu bestimmten Anlässen wie Wahlen statt.

Welche Klasse führt heute die KPCh?

Nach der Mitgliederanzahl stellen Arbeiter und Bauern nach wie vor den größten Anteil. Aber die führende Rolle in der Partei haben Funktionäre und Geschäftsleute übernommen, die über den größten Einfluss auf die Parteiführung verfügen. Ein Beleg dafür war die Verfassungsrevision, mit der man in diesem Frühjahr das Privateigentum legalisierte.

Wie sieht ein typischer Vertreter der Führungsklasse aus?

Er ist zwischen 30 und 40 Jahre alt und bringt neue Gedanken mit. Er hofft, dass sich die Marktwirtschaft in China schnell entwickelt und das Privateigentum gefördert wird. Gleichzeitig will er mit eigenen Geschäften davon profitieren. Bisher haben nur wenige dieser jungen Leute wichtige Funktionen in der Partei. Aber wenn die neue Generation allmählich aufsteigt und eines Tages das ZK erreicht, wird es in der Partei einen enormen Umbruch geben.

Wann wird es so weit sein?

Niemand weiß das, da die langfristigen Pläne der Partei grob und ungenau sind. Die Parteiführung lebt fast ausschließlich in der Gegenwart. Jeder denkt nur an die eigene Amtsperiode, die nach fünf oder zehn Jahren endet. China befindet sich in einer Zeit politischer Erstarrung, die mit der Breschnew-Ära in der ehemaligen Sowjetunion vergleichbar ist.

Wie stark sind heute die echten Reformer in der Partei?

Von einer politischen Reform, wie sie vor dem Tiananmen-Zwischenfall am 4. Juni 1989(*) von einigen KP-Führern angestrebt wurde, ist heute keine Rede mehr. Von den fünfzig Losungen, die zum 50. Nationalfeiertag ausgegeben wurden, gehen nur zwei zaghaft auf politische Reformen ein. Darin erkennt man einen deutlichen Rückschritt, auch im Vergeich zum 15. Parteitag vor zwei Jahren. Da wurde noch viel über politische Reformen geredet. Doch im Rückblick erscheint das nur noch als Vorbereitung auf den Besuch von Partei- und Staatschef Jiang Zemin Ende 1997 in Amerika und den Gegenbesuch von Bill Clinton ein halbes Jahr später.

Was halten Sie von Premierminister Zhu Rongji?

Als er im März 1998 in sein Amt kam, habe auch ich mir große Hoffnungen gemacht. Aber seither hat man das Gefühl, dass er zu schwach ist, um die Parteilinie insgesamt zu beeinflussen. Als er im April die USA besuchte, sagte er, dass es zu den Vorfällen am 4. Juni 1989 keine Meinungsunterschiede in der Partei gebe. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Gleichwohl beinhalten seine Reform der Ministerien und der von ihm geförderte Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation wichtige politische Fortschritte.

Wie stehen die breiten Bevölkerungsschichten zur Partei?

Bis in die siebziger Jahre hinein war die Autorität der Partei unter Arbeitern und Bauern sehr groß. Heute deutet der wachsende Unterschied zwischen Arm und Reich auf einen für jedermann erkenntlichen Widerspruch zur Theorie des Sozialismus. Die armen Leute hegen also Zweifel, ob die KP noch auf ihrer Seite steht. Trotzdem ist es noch zu früh, die KP als Partei der Privilegierten abzutun. Die Regierung zahlt Arbeitslosengelder und eine Grundsicherung für alle. Ideologisch gewinnt sie damit jedoch nichts zurück: Sozialhilfe ist keine sozialistische Besonderheit und fällt im Kapitalismus meist üppiger aus.

Hat die Partei eine ideologische Alternative? Im Westen sehen China-Experten eine Renaissance des Konfuzianimus.

Die Möglichkeit dafür ist sehr gering. Was die westlichen Theoretiker denken, folgt ihren eigenen Träumen. Auch der Neokonfuzianismus, der in Taiwan und Singapur populär ist, hat in China wenig Chancen. Dazu war und ist der Einfluss der KP zu stark. Ihr materialistisches Weltbild widerspricht fundamental den humanistischen Prämissen des Konfuzianismus. Letzterem zufolge darf sich das Volk gegen einen ungerechten Kaiser wehren. Unter der Diktatur der KP haben die Menschen nicht einmal die Freiheit zum Reden.

Werden sie sich die Freiheit eines Tages nehmen?

Noch gibt es in der Partei keine Führungsperson wie Gorbatschow. Aber der große Wandel zur Demokratie wird irgendwann auch in China geschehen.

(*)Shang benutzt die offizielle Bezeichnung für das Tiananmen-Massaker der Volksarmee.

Interview: Chikako Yama-

moto und Georg Blume

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