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Zukunft zu verkaufen

Hamburg bringt seine Internet-Seiten unters Volk und hat sich deswegen Kosmetik aufgelegt. Bewerbungsverfahren in der letzten Runde  ■ Von Ulrike Winkelmann

Schon gesehen? Hamburg hat sein digitales Gesicht geliftet: Die Portalseite von „hamburg.de“, dem städtischen Internet-Informationsdienst, leuchtet seit gestern in elegantem Marineblau. Auch das neue, fesche Wappen mit der kleinen Welle (statt bloß der behäbigen Hammaburg) ist in das Layout eingearbeitet.

Diese Fassadensanierung war vermutlich der letzte Kraftakt, den die Betreiber von hamburg.de, Finanz- und Wirtschaftsbehörde plus Senatskanzlei, im städtischen Alleingang unternommen haben. Denn hamburg.de wurde aufgehübscht, um es zu verkaufen: Seit Juni sucht der Senat einen Investor, der ihm Pflege und Ausbau des mittlerweile viele tausend Seiten umfassenden Programms abnimmt.

Die wachsende Verantwortung für Hamburgs Auftritt im Internet wird dem Senat zu teuer. Denn um repräsentativ, standortgemäß und nicht zuletzt auch bürgerfreundlich zu sein, müssen die Seiten stetig weiterentwickelt werden. „Die Stadt ist aber kein Software-Entwickler“, erklärt Senatssprecher Rainer Scheppelmann. „Wir gehen davon aus, dass ein privater Betreiber eher im Stande ist, den Service von hamburg.de zu verbessern.“

Service-Verbesserung heißt hier vor allem: Die lokale Wirtschaft soll vom zukünftigen Betreiber im virtuellen Hamburg angesiedelt werden. Und ihn dafür bezahlen. Das Zauberwort für den angestrebten Deal lautet „public-private-partnership“: Die Stadt zahlt nicht mehr, der private Betreiber verdient trotzdem, die Bürger bekommen mehr Infos, und alle sind glücklich.

Das Bewerbungsverfahren ist in diesen Tagen in die letzte Runde gegangen. Von ursprünglich 19 Kandidaten sind nunmehr drei oder vier noch im Rennen. Wer das ist, darüber schweigen sich die beteiligten Stellen aus. In Frage kommen als übliche Verdächtige Konzerne wie die Telekom und Bertelsmann – oder aber eine Gruppe kleinerer Firmen, der es gelingt, das Vertrauen des Senats zu erwerben. Zehn bis 25 Millionen Mark jedenfalls müsste der Bewerber schon vorweisen können, um sie gleich zu Anfang in hamburg.de zu stecken.

Doch nicht nur die Kohle, auch das Konzept muss stimmen. Der Ausschreibungstext verlangt, dass der Bewerber klarstellt, wie er alle drei Säulen einer digitalen Stadt zu ihrem Recht kommen lassen will: Nicht nur erstens Obrigkeit und zweitens Wirtschaft, sondern drittens auch die Bürgerinnen und Bürger selbst. „Interaktivität und eine funktionierende Bürgerbeteiligung sind natürlich Pflicht“, betont GAL-Bürgerschaftsmitglied Bettina Kähler. Auch dem großen Koalitionspartner ist die „Demokratiesäule“ besonders wichtig: „Es muss Foren für Initiativen und Diskussionen geben, und direkte Bürgerbeteiligung muss realisiert werden“, sagt Jan Riecken, Internet-Spezi der SPD-Fraktion.

Im Gespräch sind außerdem: kostenlose E-Mail-Adressen und Homepages für alle Onliner und öffentliche Terminals für Offline-Menschen, die zu Hause weder PC noch Modem haben.

Über diese Forderungen freilich sind sich Behörden und sämtliche Rathausfraktionen verdächtig einig. Die einzige Debatte, die es zur Ausschreibung von hamburg.de bislang in der Bürgerschaft gegeben hat, zeugte davon, wie durch eine Melange aus Ahnungslosigkeit und nebelhaften Formulierungen Konsens hergestellt wird: Wilde Spekulationen über die Möglichkeiten, Mülltonnen per Internet zu bestellen, wechselten sich da mit unqualifiziertem Schlagwortgebrauch – „Multimediahauptstadt Hamburg“ und so weiter – ab. Der Wille aller RednerInnen zur „Zukunftsfähigkeit“ konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass schlichtweg niemand die Folgen einer Ausschreibung absehen kann und es deshalb derzeit auch keine Kontroverse darüber gibt.

Dabei sind durchaus einige Fragen offen. Zum Beispiel, wie ein Fiasko à la berlin.de verhindert werden soll. Berlin hatte im vergangenen Jahr seinen Webauftritt an Primus Online, ein Unternehmen der Daimler-Chrysler-Tochter debis und der Kölner Metro-Gruppe, verkauft. Die Folge: Innerhalb weniger Wochen war klar, dass Aufbau und Betrieb von berlin.de nicht durch Werbung zu finanzieren waren. Primus Online wurde an die debis-Tochter Debitel weitergereicht, und Debitel wurde zuletzt an die Schweizer Telefongesellschaft Swisscom verkauft. Jetzt hat die Hauptstadt ein liebloses, unübersichtliches Stadtinformationsnetz: Ohne Anbindung an die lokale Szene, ohne Zuspruch von der Bevölkerung, ohne den erfinderischen digitalen Schwung, den sich Medienpolitiker von Stadtnetzen versprechen.

Nun hat hamburg.de zwar bereits ein beachtliches Angebot vorzuweisen, das von einem privaten Betreiber jedenfalls nicht sofort ruiniert werden könnte. Aber jeder Grad der Verbesserung hängt vom Geld ab, das sich mit hamburg.de machen lässt. Deshalb macht es nach Meinung des Bremer Informatikers Herbert Kubicek auch „keinen Sinn“, auf die Finanzkraft eines Großkonzerns zu setzen, der den langen Atem hätte, über Jahre hinweg Geld in ein Stadtinformationssystem zu versenken: „Jeder private Investor wird mit allen Mitteln versuchen, Kosten zu sparen.“ Wirklich notwendige Neuerungen wie etwa „ein ordentliches Such-system lassen sich derzeit einfach nicht refinanzieren.“

Im digitalen Musterland Bremen, wo man stolz auf die Auszeichnungen ist, die „bremen.de“ schon eingeheimst hat, bleibt deshalb die Stadt Eigentümerin der Adresse und damit „Herrin des Verfahrens“, erklärt Kubicek. „Nur einzelne Funktionen, etwa der Veranstaltungskalender, werden an lokale Multimediadienstleister vergeben.“

Diese Chance hat Hamburg mit der Ausschreibung nun schon verschenkt. Gleichwohl wäre zu hoffen, „dass der Senat nicht wieder einem der Platzhirsche der Szene den Zuschlag gibt“, sagt der Hamburger Medienforscher Hans Kleinsteuber. „Erfahrungsgemäß sind die Großkonzerne nicht innovativ genug, um solchen Aufgaben gerecht zu werden.“ Statt dessen solle sich Hamburg auf seinen Reichtum an kleinen und mittelständischen Firmen besinnen und diesen eine Chance geben. „Sonst kann sich die Stadt von ihrem Ruf als Medienstandort bald verabschieden.“

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