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„Alle sind verdorben“

■ Rosamund Gilmore spricht über ihre Inszenierung des „Rosenkavaliers“

Zwei ästhetische Schocks – „Salome“ im Jahr 1905 und „Elektra“ vier Jahre später – hatte Richard Strauss komponiert, ehe er sich 1910 die Gunst des Publikums sicherte mit der 1911 uraufgeführten Oper „Der Rosenkavalier“.Das 1745, also im Rokoko, spielende Stück behandelt als „Komödie in Musik“ den Zerfall des Adels: Der trampelige Wiener Baron Ochs von Lerchenau stellt der schönen Marschallin ebenso nach wie der neureichen vierzehnjährigen Bürgerstochter Sophie. Der siebzehnjährige Oktavian hat ein Verhältnis mit der von ihrem Mann vernachlässigten Marschallin, wechselt dann aber zu Sophie über. Die Regisseurin in Bremen, die sich besonders viel mit zeitgenössischer Musik beschäftigt, ist die Engländerin Rosamund Gilmore. Anlässlich der Premiere des von ihr inszenierten Rosenkavaliers am Sonntag sprach sie mit der taz.

taz: Strauss lässt die ästhetische Provokation von „Elektra“ und „Salome“ im „Rosenkavalier“ hinter sich. Zudem spielt das Stück 1745. Wo siedeln Sie es an?

Rosamund Gilmore: Ich möchte eine Annäherung für mich finden. Ich schaue zunächst nur auf die Charaktere der Figuren. Und alles menschliche Verhalten setzt sich über den konkreten historischen Rahmen, in dem ein Stück spielt, hinweg. Ich siedle den Rosenkavalier in meiner Inszenierung daher in diesem Jahrhundert an.

Verstehen Sie das Werk, wie es viele tun, als Kompromiss?

Nein. Was im Musiktheater einzig schlimm ist, ist, sich selbst etwas vorzutäuschen. Doch Strauss ist sich selbst treu, absolut. Ich komme aus England, wo die Abgrenzung zwischen ernster und unterhaltender Musik nicht so streng ist wie hierzulande. Ich glaube, Strauss muss beim Komponieren einen Riesenspaß gehabt haben.

Zu keiner Oper gibt es einen derartig ausführlichen Briefwechsel zwischen Librettisten und Komponisten wie für den „Rosenkavalier“ zwischen Hugo von Hofmannsthal und Strauss. Hatte dieser Briefwechsel Einfluss auf Ihre Arbeit?

Ja, den habe ich als Erstes gelesen. Hofmannsthals Libretto allein erzählt die Geschichte unglaublich genau. Aber für mich ist die Sprache sehr künstlich. Ich habe versucht, Kontraste zu schaffen, jenseits der vorhandenen Geschichte eine zweite Ebene zu installieren. Und da kommt man um harte Tatsachen nicht herum. Es ist der reine Egoismus, wenn die Marschallin mit ihren 35 Jahren den siebzehnjährigen Oktavian verführt. Und was Ochs mit der vierzehnjährigen Sophie veranstaltet, würde heute als Kinderschändung gesehen. Für mich sind alle Figuren vollkommen verdorben, auch Oktavian und Sophie, die Opfer ihrer Erziehung sind.

Strauss' Musik illustriert überdeutlich – bis zu jedem Schritt auf der Bühne – das szenische Geschehen. Welcher Deutungsspielraum bleibt denn da für Sie?

Formal haben Sie recht. Es gibt in der Musik überhaupt keine Psychologie. Aber sie beschreibt ungeheuer genau: zum Beispiel die Marschallin, die in ihrer Arie, ihrem Monolog anmerkt, dass ihre Stellung von Schönheit und Titel, also Äußerlichkeiten geprägt ist. Das fokussiert Strauss ungemein. Ein anderes Beispiel sind Terzett und Duett im dritten Akt. Hier steigern sich Gefühle und Emotionen zu einem Rausch. Strauss' Musik hat hier fast hypnotische Wirkung.

Viele Schaupielregisseure werden gefragt, ob sie auch mal Oper machen wollen. Bei Ihnen ist es umgekehrt.

Ja, ich war Tänzerin, habe dann choreographiert und bin über die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten zur Oper gekommen. Ich würde aber auch wahnsinnig gerne einmal im Schauspiel arbeiten, weil da die Vorgaben weniger eng als bei der Oper sind. Aber das bleibt im Augenblick ein Wunsch.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Premiere am Sonntag, den 3. Oktober um 19.30 Uhr am Bremer Theater. Die musikalische Leitung hat Günter Neuhold

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