: 3.000 Lehrerstellen auf dem Index
■ „Giftliste“ der Schulverwaltung fordert eine Angleichung an die Verhältnisse in anderen Bundesländern. Grundschulklassen sollen dafür von 24 auf 29 Kinder aufgestockt werden
In Berlin könnten bald 3.000 Lehrerstellen gestrichen werden. Das legt eine vertrauliche „Giftliste“ nahe, die Landesschulrat Hansjürgen Pokall aufgestellt hat und die der taz vorliegt. Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) hatte Mitte Juli von Pokall einen umfassenden Katalog angefordert, in dem die „besonderen Sachverhalte der Berliner Schulen“, die im Vergleich zu anderen Bundesländern einen „erhöhten Lehrerbedarf“ ausmachten, geschildert werden solle. Die Schulverwaltung wollte sich auf Nachfrage der taz nicht zu dem Papier äußern.
Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) und das Abgeordnetenhaus wollen seit Jahren den Lehrerbedarf in Berlin an den anderer Bundesländer angleichen. Im Rechnungshofbericht von 1997 heißt es, dass es „erhebliche Vorsprünge“ – im Klartext: zu viele Lehrer – gebe. Die LehrerInnen arbeiteten im Durchschnitt 1,4 Wochenstunden weniger als ihre KollegInnen im Bundesdurchschnitt. Eine Stunde mehr könnte laut Rechnungshof 1.000 Stellen oder 73 Millionen Mark einsparen.
Landesschulrat Hansjürgen Pokall schlägt vor, die Vorklassen auszudünnen, Klassenfrequenzen in den Grundschulen heraufzusetzen und die Arbeitszeit der LehrerInnen zu erhöhen. Die Vorklassen sind in Berlin, im Gegensatz zu anderen Ländern, für alle Kinder offen und nicht nur für schulpflichtige. Deshalb seien rund 550 VorklassenleiterInnen mehr beschäftigt als anderswo.
300 weitere Lehrerstellen könnten gespart werden, wenn die Zahl der SchülerInnen in den 5. und 6. Klassen von 24 auf 29 angehoben werde, meint Pokall. Hintergrund: Wegen der 6-jährigen Grundschule bleiben in Berlin die alle Kinder von der 1. bis zur 6. Klasse zusammen. In anderen Bundesländern wird nach der Beendigung der 4-jährigen Grundschule die 5. Klasse in der Oberschule neu eingerichtet. Diese hat durchschnittlich 30 SchülerInnen.
Eine weiterere Sparmöglichkeit ergibt sich aus den zahlreichen Unterrichtsfreistellungen für LehrerInnen. In Berlin dürfen etwa LehrerInnen, die eine Klassenleitung übernehmen, pro Woche eine Stunde weniger unterrichten. Das ist in keinem anderen Bundesland so. Fällt diese Regelung weg, könnten umgerechnet 600 Stellen eingespart werden. Pokall fordert zudem, dass das berufsvorbereitende Jahr nach der 10. Klasse nicht mehr Pflicht ist, sondern freiwillig wahrgenommen werden kann. Die Ersparnis: 100 Stellen. Pokall regt auch an, über eine grundsätzliche Erhöhung der Lehrerarbeitszeit um wöchentlich eine Stunde nachzudenken.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) übte gestern scharfe Kritik an dem Papier. Der GEW-Vorsitzende Uli Thöne sagte, die Vorklassen quasi abzuschaffen wäre ein „bildungspolitischer Skandal“. Die Erhöhung der SchülerInnenzahl von 24 auf 29 in der 5. Klasse bedeute die faktische Abschaffung der 6-jährigen Grundschule. Das sei organisatorisch nicht anders möglich.
Christa Mommert vom Landeselternauschuss hält die „Schmerzgrenze“ beim Unterrichtsausfall für erreicht. Sie plädierte aber, wie Pokall, für eine Anhebung der Lehrerarbeitszeit. Bernd Baier vom Landeslehrerausschuss forderte, die Unterrichtsfreistellungen unbedingt beizubehalten.
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