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Monopoly in drei Dimensionen

Übung macht den Meister – und deswegen existieren in Deutschland 800 Übungsfirmen, wo Auszubildende den Ernst des Lebens proben können  ■   Von Horst Peter Wickel

Auch die Regierung schafft Übungsjobs: allein 20 Firmen beim Sofortprogramm für arbeitslose Jugendliche

Nürnberg (taz) – Für 399 Mark bietet die Bremer Freizeit Container GmbH den Komplettbausatz der Segeljacht „Fairwind“ an, und für 44 Mark hält die Junior Chemie GmbH das Partyzelt „Happy Hour“ bereit. Ein paar Messestände weiter wirbt Christian Reise von der Potsdamer Pots-Music GmbH für die neue CDs. Von Mozart bis zu den Toten Hosen – für 31,99 Mark.

Junge Besucher drängen sich zwischen Anbietern aus In- und Ausland. Wortreich erklären die Vertreter ihre bunte Vielfalt vom Fahrrad bis zum Erotikartikel, den Auftragsblock immer in der Hand. Und die Messebesucher kaufen, die Scheckformulare der Essener Ruhrtal-Bank AG sind schnell gezückt.

Doch nachdem gestern die Verkaufsveranstaltung in Halle 1 des Nürnberger Messegeländes zu Ende gegangen ist und die mehr als 200 teilnehmenden Unternehmen ihre Stände abbauen, entpuppt sich alles als Spuk. Keine Segeljacht wird geliefert, kein Partyzelt kann im Garten aufgebaut werden. Bei der 35. Internationalen Übungsfirmenmesse passiert alles nur zum Schein, die Käufe und Verkäufe sind virtuell.

Dennoch werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Übungsfirmen einiges zu tun haben, um die Erfolge auf der Messe auszuwerten, die bestellten Waren zu liefern, Rechnungen zu schreiben, Zahlungseingänge zu überprüfen und den Messeverlauf auszuwerten. Denn bei der nächsten Messe werden die Firmen wieder dabei sein, immer abwechselnd in Nürnberg, Leipzig und Münster.

Rund 2.800 Übungsfirmen gibt es inzwischen weltweit, allein 800 davon in Deutschland, wo bereits vor 45 Jahren die ersten fiktiven Unternehmen gegründet wurden. Ihr Sinn: In den Übungsfirmen sollen junge Menschen, aber auch Frauen, die wieder in das Berufsleben zurück wollen, oder ältere Umschüler in einer praxisgerechten Qualifizierung im kaufmännischen Bereich für das Arbeitsleben vorbereitet werden.

Als Träger der Übungsfirmen sind in Deutschland Berufsbildungs- und -förderungswerke, staatliche Schulen und Wirtschaftsunternehmen, aber auch Privatschulen und Volkshochschulen aktiv. „Die Flexibilität des Konzepts“, so heißt es bei der Zentralstelle des Deutschen Übungsfirmenrings in Essen, „erlaubt kurzfristige Eintritte in eine Übungsfirma, Weggang bei Arbeitsaufnahme ist ohne Probleme möglich, der frei werdende Arbeitsplatz ist sofort wieder besetzbar.“ Und so arbeiten die zum größten Teil vom Arbeitsamt bezahlten Angestellten der Übungsfirmen mit fantasievollen Namen wie Carpe Diem (Treckingequipment) oder Gesund & Saftig Vogtlandoase Tag für Tag in ihrem Riesenmonopoly in drei Dimensionen, in dem Fehler nicht folgenreich bestraft werden.

Allein 20 Firmen sind in den letzten Monaten neu eröffnet worden – als Folge des Sofortprogramms der Bundesregierung für arbeitslose Jugendliche. In Branchenbüchern wird man die Unternehmen vergebens suchen, und im Internet weisen die Übungsfirmen deutlich darauf hin, dass sie nicht wirklich liefern können. Für verspielten Quatsch jedoch ist in den Übungsfirmen selbst kein Platz. „natürlich sind die Ausbilder schon dabei gefordert, den Mitarbeitern der Übungsfirmen mit viel Kreativität das Eintauchen in die Firma zu erleichtern“, sagt Werner Auer, Organisationsleiter der Übungsfirmen-Zentralstelle.

Selbst auf die Globalisierung der Wirtschaft haben die Übungsfirmen inzwischen reagiert: Dazu wurde Europen (European Practice Enterprises Network) gegründet, zum Beispiel um den internationalen Zahlungsverkehr zu koordinieren. Durch den internationalen Übungsfirmenmarkt werden aber auch fremdsprachliche Geschäftsvorgänge geübt, Zoll-, Einfuhr- und Ausfuhrbestimmungen müssen auch die fiktiven Unternehmen berücksichtigen.

Wer den eifrigen Messeberatern der Übungsfirmen bei der Arbeit zusieht, wird kaum Unterschiede zum realen Wirtschaftsleben bemerken. Und bei Schecks, erzählt Werner Auer von derRuhrtal-Bank AG, verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität vollends: Auch normale Geschäftsbanken, sagt Übungsbankier Auer, hätten schon Scheckirrläufer von Übungsfirmen ordentlich abgearbeitet.

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