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Jung und wild im Rollkragenpulli

■ Das wunderbare Matt Wilson Quartet spielte sich durch's große US-Liederbuch

Vielen der bislang in der KITO-Konzertreihe „Rising Stars“ aufgetretenen jungen US-Jazzern sah man schon, wenn sie die Bühne bestiegen, an, dass die Musik für sie in erster Linie eine Karriere-Entscheidung war. Schickes Outfit, coole Haltung – halt eher die Star-Attitüde als musikalische Qualitäten wurden hier ausgespielt. Und meist hörten sich diese Designer-Jazzer entsprechend konservativ, technisch brilliant und blass an.

Was für eine Wohltat war dagegen dieses Quartet im Alltags-Outfit (Rollkragenpulli und Schlabbersakko), das zwei niedliche, offensichtlich selbstgemalte Tuschbilder an die Balken des KITO geheftet hatte, auf dem die Band ihre Namen, ein paar europäisch aussehende Gemäuer und „rising bars-tour“ gepinselt hatten. Wenn das Matt Wilson Quartet in den Jazz-Sternenhimmel emporsteigt, dann nur wegen seiner Musik und nicht, weil die Jazzer sich so cool geben.

Es war wieder mal kaum jemand da im KITO, aber diesmal waren wir wirklich die „happy few“, zu Gast bei einem grandios zu nennenden Auftritt. Das musikalische Konzept der Band, bei dem scheinbar schwerelos in allen Stilen und Songformem der populären US-Musik gespielt werden kann, stammt vom Schlagzeuger Matt Wilson. Aber die vier sind alles andere als Traditionalisten, sondern eher übermütige junge Wilde, die sich aus allen musikalischen Gärten die schönsten Früchte picken.

Wilson selbst ist einer der großen Klöterer. Ständig wechselte er die Drumsticks (einer hatte sogar eine Rassel im hohlen Stock), mal spielte er mit der Hand, mal packte er Holzschellen auf ein Becken, mal bimmelte er in Kuhglocken herum und trommelte mit einem unglaublich vielseitigen, melodischen Sound, der an Paul Motian oder Jack Dejohnette erinnerte. Statt eines Harmonie-Instruments hat Wilson zwei Saxophonisten in seiner Band; ein auf den ersten Blick gewagtes Doppel, das während des Konzerts aber schon sehr bald einleuchtete. Denn die beiden Bläser spielten und wirkten wie das Yin & Yang der Gruppe. Joel Frahm (Tenor & Sopran) war in Ton, Statur und Körpersprache eher erdig und schwer, Andrew D'Angelo (Alt & Bassklarinette) wirkte dagegen wie ein quirliger Luftikus, und allein dieser Kontrast gab jedem Stück seine Reibung, die die Musik immer spannungsreich bleiben ließ. Bassist Yosuke Inoue war dagegen der verlässliche Ruhepol der Band.

Die vier spielten extrem verschiedenartige Miniaturen (jedes Stück war etwa vier Minuten lang), bei denen die Soli durchgängig in raffinierte Arrangements eingebettet waren. Mal spielten Bass und Bassklarinette unisono, mal war die Melodie auf dem Schlagzeug zu hören, mal sangen alle vier eine hochharmonische Coda. Dieser musikalisch immer stimmig wirkende Einfallsreichtum war die größte Überraschung des Konzerts.

Und die vier machten es sich nicht leicht, indem sie auf den Wiedererkennungswert von Standards setzten. Ihr Songbook war erlesen: neben durchweg interessanten Eigenkompositionen coverten sie unbekannte Stücke von Herbie Nichols, Monk und Ellington (den sie langsam in Zirkusmusik verwandelten), dazu gab es noch eine „really strange“ Interpretation von „Strangers in the Night“ und einen Folksong von Pete Seeger. Ein aufregendes Konzert von vier jungen amerikanischen Musikern, die einem den Glauben an den Jazz wiedergeben können.

Wilfried Hippen

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