: Kurzer Beifall, Buhs und scharfe Bravos
■ Rosamund Gilmore scheitert mit dem ambitionierten Versuch, den „Rosenkavalier“ von Strauss zu aktualisieren
Die Aufführung des „Rosenkavalier“, schrieb der Librettist Hugo von Hofmannsthal, „müsse so sein wie sie ist, nämlich völlig abgehend vom Trivialen und Konventionellen.“ Wirklicher Erfolg, führt er weiter aus, „setzt sich zusammen aus der Wirkung auf die groben und feinen Elemente des Publikums“, der sich schließlich auch die Popularität eines Stückes verdankt. Man kann sicher sagen, dass die meisten Inszenierungen des „Rosenkavalier“ von Richard Strauss diese Hinweise nicht beachtet haben. Zu verführerisch ist der Glanz der Musik, zu wenig ermöglicht sie eine kritische Brechung der Geschichte, zu sehr scheint sie sich gegen Interpretation generell zu sperren.
Das Stück spielt 1745, behandelt aber den Niedergang des Adels und das Aufkommen des Bürgers um die Jahrhundertwende am Vorabend des ersten Weltkrieges. Die Regisseurin Rosamund Gilmore hat im Vorfeld mit Blick auf die Geschichte deutliche Worte gefunden und alle Strauss'schen Charaktere als verdorben bezeichnet. Womit sie Recht hat. Die 32-jährige Marschallin zieht sich den siebzehnjährigen Oktavian ins Bett. Der spielt den Rosenkavalierboten für die vierzehnjährige Bürgerstochter Sophie und verliebt sich dabei in das Mädchen, die schon von ihrem Vater, dem Waffenhändler Faninal (schmierig-elegant Alan Cemore), an den verarmten Ochs von Lerchenau verschachert werden sollte. Eine Hand wäscht die andere: Ochs kommt ans Geld und die Bürger an den Adelstitel. Was Ochs nicht hindert, mit seinem verarmten Gesinde weiterhin anderen Röcken nachzusteigen und Zechen zu prellen.
Von alledem sieht man auf der Bühne jedoch zu wenig. Die illustrative Musik lässt kaum Möglichkeiten zur Durchführung der Gilmore'schen Konzeption, die die Verderbtheit der Akteure zum Thema machen will. Anzeichen der Entrümpelung gibt es durchaus: Gilmore siedelt das Spiel um die Zeit des 1. Weltkrieges an. Soldaten und Krankenschwestern bevölkern die Bühne. Aber das vermittelt sich nicht, bleibt Dekor und damit verzichtbar. Der dritte Akt spielt in den fünfziger Jahren und prompt geht die geisterhafte Maskerade, der sich Ochs ausgesetzt sieht, in die Hosen. Da laufen Menschen in Internatsuniformen herum, ohne dass man weiß, warum.
Im ständig wuselnden Hintergrund gibt es zahlreiche Hinweise auf die Verderbtheit der Protagonisten. Aber die dort agierenden Menschen selbst sind alle unendlich lieb und liebenswert. Selbst der Ochs mit seiner unverschämten Tapsigkeit. Mit Andreas Haller in der Rolle des an sich fiesen Ochs hat man teilweise sogar Mitleid. Das kann so nicht gemeint sein. Rachel Torvey ist eine schöne und weise Marschallin, Fredrika Brillembourg ein so durch und durch liebenswerter und verführerischer Oktavian, so dass von Gilmores These, er werde genauso wie Ochs, kaum etwas zu sehen ist. Sophie wirkt eher wie eine Grande Dame aus den Salons der zwanziger Jahre. Caroline Stein findet zu dem jungen Mädchen, das sie spielen soll, erst im dritten Akt.
Unterstützt wurde dieser unfertige Eindruck durch ein Bühnenbild, das in allen drei Akten gleich gebaut ist, in dem nur einige Utensilien gewechselt werden und somit nichts darüber sagt, dass wir uns im ersten Akt in der Wohnung der Marschallin, im zweiten im Hause des Waffenhändlers und im dritten in einer Vorstadtspelunke befinden.
Zahlreich sind die Dokumente, die belegen, dass Hofmannsthal sich von Strauss missverstanden fühlte. Eine Tatsache, die entscheidend zu der Schwierigkeit beiträgt, die Oper neu zu lesen. Denn die subtilen Texte sind nicht zu verstehen, „totkomponiert“, wie Harry Graf Kessler an Hugo von Hofmannsthal schrieb. Bleiben die Charaktere ohne ihren historischen Kontext und bleibt die Musik. Und da gibt es fast nur Gutes zu berichten. Da gab es reiche Töne und Zwischentöne: der Monolog der Marschallin über die unter der Hand verschwundenen Jahre zum Beispiel. Rachel Torvey lamentiert nicht, sondern ist erstaunt und am Ende überzeugt, dass es richtig so ist: „s'ist doch der Lauf der Welt“. Keine Rolle könnte zu ihrem stimmlichen Niveau besser passen als diese. Fredrika Brillembourg scheint, was Nuancen, Höhe und Dramatik angeht, besser denn je. Und mit der traumhaft singenden Caroline Stein als Sophie verbinden sich die Stimmen der drei Frauen zu einem der innigsten Ensembles in der Opernliteratur. Andreas Haller wirkt ein wenig sich selbst überlassen, positiv ist zumindest, dass er jeden Anschein der Klamotte vermeidet, obschon der Ochs ganz eindeutig eine Klamotte ist.
Die kenntnisreiche Orchesterbasis kommt von Günter Neuhold, der für das „Totkomponieren“ von Richard Strauss nicht kann, der aber auch nicht den Versuch macht, den Stimmen mehr Möglichkeiten zu verschaffen. So rauscht Strauss' Glitzersprache in ihren verführerischen Rubati vier Stunden lang, findet ihre berühmten Walzerstellen, die vom Publikum zum Teil mitgesummt wurden. Heftiger, aber sehr kurzer Beifall, Buhs für die Regisseurin, gekontert von eindeutigen Bravos. Ute Schalz-Laurenze
Aufführungen: 10., 12., 22. Oktober, 19 Uhr, Theater am Goetheplatz. Karten unter Tel.: 36 53 333
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