Für die Doofen zum Mitschreiben

Raus aus dem inneren Wohnzimmer und rein in die große, weite Welt des schönen Pop: Mit Texten, die ungefragt kommen, und Musik, die die Lieder zum Leuchten bringt, begegnen die Quarks auf ihrem Album „Königin“ dem Vorwurf der Niedlichkeit  ■   Von Thomas Winkler

Beim Stichwort Kekse wird Jovanka von Willsdorf ein bisschen ungemütlich. Seit nun vier Jahren ist sie eine Hälfte der Quarks und seit nun vier Jahren wird sie verfolgt von der Geschichte mit den Keksen, die man dem Publikum bei angeblich jedem Konzert reichen würde. „Nur bei den ersten drei Auftritten war das so“, entlarvt Willsdorf ein wenig entrüstet die Tendenz von Journalisten, voneinander abzuschreiben.

So entstehen Mythen. Aber es war auch eine allzu schöne Anekdote, illustrierte sie doch gleich zwei Standardelemente einer Quarks-Geschichte: Zum einen ihre Herkunft und Verwurzelung in der damals florierenden und von ihnen quasi mit erfundenen Wohnzimmer-Szene, und zum anderen ihren Hang zum heimeligen, krümeligen, eher kindlichen Soundgebilde. Ersteres stimmte schon damals nur zur Hälfte und Letzteres, so meinen von Willsdorf und ihr Partner Niels Lorenz, war von Anfang an vor allem der Faulheit oberflächlich hörender Journalisten geschuldet.

Zwar sagte auch von Willsdorf damals in diesen zwei, drei kurzen Sommern der Wohnungsauftritte solche Sätze wie „Es geht um uns das innere Wohnzimmer“, und nicht umsonst hieß die erste Platte der Quarks Anfang 1998 programmatisch „Zuhause“.

Heute aber legt sie Wert darauf, dass man schon damals das „zwar auch, aber nicht nur war“. Ein Satz, der fast wortgleich auch zum Standardvorwurf Nummer zwei fällt: Denn immer nur niedlich genannt zu werden hat „absolut genervt“. Dabei war man doch schon auf „Zuhause“, meint Lorenz, traurig und auch scary“. Was stimmt, wenn man das Debut jetzt noch einmal hört. Was aber auch leicht zu überhören war, denn die Abgründe, das Unheimliche war gut versteckt hinter dem musikalischen Äquivalent der pastellfarbenen Kinderzimmertapete, die das CD-Booklet verschönerte.

So kann man „Königin“, die dieser Tage erscheinende zweite Platte der Quarks durchaus lesen als Entgegnung auf diese beiden Vorwürfe. Da gibt es das klaustrophobische „Pol“, das verstörende „Schiffbauch“ und das kalt-metallische „Gleich“. Alles Gefühle und Ideen, die schon auf „Zuhause“ angedacht waren. Hier nun sind sie erstmals explizit ausformuliert. Zum Mitschreiben. Für die Doofen. Schön aber ist, dass die Quarks trotzdem die Quarks geblieben sind, also auch und vor allem: schön.

Wie gesagt: Man kann diese Entwicklung interpretieren als Reaktion auf die Außenwelt. Was die Quarks niemals tun würden: „Das ist doch unfrei.“ Man kann aber auch sagen, wie von Willsdorf und Lorenz das tun, diese Entwicklung sei eine „organische“, entstanden in der „abgeschlossenen Quarks-Blase“. Schließlich „lernt man in zwei Jahren sein Instrument besser kennen“.

Viel live gespielt hat man in dieser Zeit, mit einem Trommler, der auf der Bühne gleichberechtigt ist und die Quarks zum Trio werden lässt. Dann deckt man erfolgreich das Spektrum „vom Kammerorchester bis zum Schweinerock“ ab. Dies allerdings sind Eckpfeiler, die viel zu mächtig sind, als dass sie einem beim Hören von „Königin“ in den Sinn kommen könnten. Denn auf Platte findet tröpfelnde Elektronik eine nette Gitarre als Freund, piepsen dann doch die Uralt-Computer und historischen Synthies. Das Kunstwerk, das die Quarks vollbringen, ist es, dass die Musik trotzdem transparent bleibt. Denn im Zentrum stehen für von Willsdorf die Texte, die eigentlich nicht die ihren sind. „Die Texte sind nie ausgedacht, die fallen mir ein“, sagt sie, „die kommen ungefragt.“

Und sie kommen, wann immer sie Lust dazu haben. Wenn vor ihnen und mitten auf der Straße also plötzlich eine dunkelhaarige Frau vom Fahrrad springt, um hektisch in ein Diktiergerät zu sprechen, seien Sie nicht erzürnt: Wahrscheinlich ist es Jovanka von Willsdorf, die gerade wieder von einem Lied besucht wird. Ist der Text da, wird um ihn herum gespielt, programmiert, Schicht auf Schicht gelegt, inspiriert von den Worten. „Das Schwierigste ist dann“, meint von Willsdorf, „die Ideen wieder rauszuwerfen, wenn man merkt, wir haben das Stück komplett zugebaut.“

Schließlich soll die Musik nur einem Zweck dienen: „Das Lied zum Leuchten bringen“. Das Ergebnis ist ein Song wie „Morgenfrüh“. Sonne scheint durch die frisch geputzten Fenster und von Willsdorf singt, als wäre ihre Stimme gerade eben neu geboren worden: „Morgen ist ein schöner neuer Tag.“ Ein Hit, nichts weniger. Ganz und gar nicht mehr die „kleine Musik“, wie von Willsdorf die ersten Aufnahmen nennt. Das ist Pop und das ist eine ganze Menge. Nur: Wer kann ihn hören? Ein Erfolg wäre es schön, sagt von Willsdorf, „wenn die Menschen, die Quarks lieben könnten, Quarks auch zu hören kriegen könnten“.

Dem ist noch nicht so. Auch weil man vom kleinen Berliner Indie Monika herausgebracht wird. Und dort auch nicht wegwollte, wenn ein anderes, besseres Angebot käme. Schließlich verbindet das gute Verhältnis zur Labelchefin Gudrun Gut, und mit den Majors hat man schon die üblichen schlechten Erfahrungen gemacht. Der Weg zur Industrie ist auch daran gescheitert, dass man sich nicht ins übliche Vermarktungsschema pressen lassen wollte: hier der männliche Elektronikfriemler, dort die weibliche Stimme. Zwar schreibt von Willsdorf die Texte meist allein, aber ansonsten ist die Zusammenarbeit „sehr siamesisch“. Dabei ist es eher hilfreich als störend, dass man einmal ein Paar war.

Außerdem: Nichts hätte falscher sein können als das Klischee vom bastelnden Jungen. Die Elektronik „ist uns schräg“, erzählt Lorenz, und dass man dreimal so lange braucht für einen Track wie andere. Weshalb die Arbeit an „Königin“ sie ein gutes halbes Jahr ihr Privatstudio in der Kastanienallee nur in Notfällen hat verlassen lassen.

Nun blinzelt man im Cafe „Schwarz-Sauer“ fast etwas verloren in die letzten warmen Sonnenstrahlen dieses Sommers und berichtet, wie Leuten, die aus Überzeugung ihre Technik nicht vollkommen beherrschen, die schönsten Dinge eher zufällig passieren: „Man dreht den falschen Knopf und da ist es plötzlich.“

Noch ein Blick in die Sonne, ein Blick auf die leere Kaffeetasse und die Erkenntnis: Wer braucht schon Kekse, wenn man so eine schöne Überraschung serviert bekommt?

Quarks: „Königin“ (Monika/Indigo); live am 13. 11.: Bastard im Prater, Kastanienallee