: Schüchterner Wirtschaftsprofessor
■ Fundis und Realos hat er versöhnt, den Kosovo-Krieg der Nato scharf kritisiert: Alexander van der Bellen führte Österreichs Grüne zum Erfolg
Neben drei nahezu gleich starken Parteien sind die Grünen nun die einzige kleine Partei im österreichischen Parlament. „Auf uns kommt eine Oppositionsrolle zu, die sich gewaschen hat“, meinte Parteichef Alexander van der Bellen in einer ersten Reaktion. Die Steigerung von 4,8 auf 7,1 Prozent macht die Grünen zum zweiten Sieger der Wahl. Das relativiert auch den Rechtsruck, den Haiders Zugewinn bedeutet. Denn nach Ansicht der Meinungsforscher haben die Grünen ihr Potential keineswegs ausgeschöpft. Van der Bellen selbst hält 15 Prozent für ein mittelfristig realisierbares Ziel. Schon jetzt stimmte in manchen Wiener Bezirken ein gutes Fünftel der Wähler für die Umweltpartei. Insgesamt konnte sie in der Bundeshauptstadt ein Drittel zulegen und selbst in der FPÖ-Hochburg Klagenfurt fast 50 Prozent dazugewinnen. Anlaß zu Optimismus gibt auch die Tatsache, daß die Grünen bei den unter Dreißigjährigen mit 13 Prozent überdurchschnittlich punkteten.
Zu verdanken ist dieser Erfolg in erster Linie dem Parteivorsitzenden, dem es gelungen ist, das Image des zerstrittenen Haufens aufzupolieren. Zwei Drittel der Grün-Wähler gaben bei Umfragen die Person van der Bellens als Hauptmotiv für ihre Entscheidung an. Der Professor für Volkswirtschaftslehre, der seine Schüchternheit hinter einem ergrauten Fünftagebart verbirgt, konnte auch von PR-Managern nicht auf Stimmungskanone getrimmt werden. Dennoch oder gerade deswegen vermittelte er bei den zahlreichen TV-Debatten einen kompetenten und sympathischen Eindruck. Er zählt zu den wenigen Politikern, die eigene Fehler ohne Zögern zugeben und nicht auf jede Frage eine vorgefertigte Antwort haben. Das macht ihn menschlich.
Der Sohn einer Estin und eines Russen niederländischer Abstammung kam vor 55 Jahren in der Sowjetunion zur Welt und wuchs in Tirol auf. Die Berge ziehen ihn immer dann an, wenn er Entspannung sucht. Das Wandern gehört zu den wenigen Sportarten, die der nicht bekehrungswillige Kettenraucher betreibt.
In die Politik geholt hat ihn 1994 der ehemalige Bundessprecher Peter Pilz, im Dezember 97 wurde er dann bereits zum Parteivorsitzenden gewählt. Van der Bellens unaufgeregte Art hat den Grünen gut getan. Er konnte die Flügelkämpfe zwischen Fundis und Realos weitgehend beilegen. Mit der Verurteilung der Nato-Bomben auf Serbien und einem Bekenntnis zur Neutralitätspolitik konnte die Partei so schon bei den Europawahlen im Juni zulegen. Eine Koalition mit der SPÖ strebt van der Bellen nicht an.
Ralf Leonhard, Wien
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