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SchlaglochKommt Haider?

■ Von Kerstin Decker

Moderne und Antimoderne

Jörg Haider schreibt. Auch Bücher. Erste Rezensenten argwöhnen, Verlag und Lektor wollen sich mit der Veröffentlichung wieder bei Österreichs Intellektuellen anbiedern, indem sie Haider als Analphabeten darstellen. Um die Intellektuellen geht es bei Haider natürlich auch. Er hält das Intellektuellen-Problem für weitgehend gelöst: „Mit dem Tod von Jean-Paul Sartre ist auch der letzte europäische Intellektuelle gestorben. Was danach kam, sind Kleinkrämer mit Beamtenmentalität.“

Der österreichische Essayist Robert Menasse hat sich redlich bemüht, diese Aussage zu verstehen. Haider sagt, dass Sartre tot ist, so viel ist klar. Aber wer, fragte sich Menasse, ist jener rätselhafte Intellektuelle, der „mit dem Tod von Jean-Paul Sartre“ starb? Vielleicht, so Menasse, hätte Haider das klarer formulieren müssen: „Weil Sartre starb, war der letzte europäische Intellektuelle so bestürzt, dass er auch gleich starb.“

Am Sonntag ist Jörg Haiders FPÖ zweitstärkste Partei geworden. Mit 27,2 Prozent. Die ÖVP, Österreichs Christdemokraten, schafften nur 26,9 Prozent. Jetzt sind sie Dritte. Wenn wir Dritter werden, beschloss Wolfgang Schüssel, der ÖVP-Chef, schon vorher, gehen wir in die Opposition. Vielleicht war das ja doch leichtsinnig. Wegen 0,3 Prozent in die Opposition! Bis morgen werden noch die letzten Wahlkarten ausgezählt. Dann sind es vielleicht nur noch 0,05 Prozent. Und immer noch Opposition. Die Wahlprognosen hatten vorausgesehen, dass die FPÖ Zweiter werden würden. In einem entscheidenden Punkt irrten sie allerdings. Haider holt die Stimmen von den Christdemokraten, hieß es. Machte er aber nicht. Er holte sie von der SPÖ. 33 Prozent, ihr schlechtestes Ergebnis seit 1945. Müsste da nicht eigentlich rechtens die SPÖ in die Opposition? Und was wird dann aus Österreich?

Alles halb so schlimm, lauteten die ersten Kommentare bei uns. Österreich sei eine gefestigte Demokratie. Sogar die Kommunisten sehen das so, sie formulieren es nur ein wenig anders. „Ich scheiß mich net an vorm Haider“, sagte der kommunistische Bildhauer Alfred Hrdlicka der taz. Auf den KPÖ-Wahlplakaten in Wien sah man meist eine sehr rote, zerplatzende Tomate. „Reicht's?“, stand daneben. Gemeint waren die Sozialdemokraten. Aber eine rote Tomate im Zustand der Geworfenheit – das ist natürlich auch ein KPÖ- Gefühl. Ein richtiges Existenzialistengefühl. Wahrscheinlich hat Haider wirklich Sartre gelesen.

Vielleicht war Sartre der einzige Intellektuelle, den er kannte, und Haider hat natürlich mitgekriegt, dass er schon gestorben ist. „Das Sein und das Nichts“, heißt Sartres Hauptwerk. Man muss sich entscheiden, hat Sartre gesagt. Da nehme ich doch das Sein, entschied sich Haider. Bundeskanzler ist sicher schon eine Vorform des Seins, denn das absolute Sein wäre ja Gott. Und das findet jetzt keiner weiter erstaunlich?

Haider ist der einzige in diesem Land, der wirklich etwas will, sagte eine Österreicherin. Die anderen wollen eher, dass keiner was will, jedenfalls nichts Neues. Warum heißen die eigentlich „Die Freiheitlichen“? Bestimmt auch wegen Sartre. Der Mensch, so Sartre, ist zur Freiheit verurteilt. Haider hatte demnach, als er diesen Satz las, zwei Möglicheiten. Er konnte seine Partei „Die Verurteilten“ nennen, was irgendwie auch gestimmt hätte, denn gegründet wurde sie nach 1945 als eine Art Nazi-Nachfolgepartei.

Haider vereint das Gegensätzliche:

Das Entzauberungswort der Stunde heißt: Protestwahl. Man habe nicht eigentlich die FPÖ gewählt, sondern nur den anderen Parteien eins auswischen wollen. Insofern ist die FPÖ jetzt, obwohl gar nicht gemeint, Zweiter im Lande. Protestwahl. Mit dem Wort erklärt man auch, wenn der Osten zum Beispiel PDS wählt. In gewissem Sinne stimmt das natürlich. Und es stimmt auch wieder nicht.

Seit 1986 hat Österreich die große Koalition. In Österreich bedeutet das noch ein bißchen mehr. Es heißt, sagte mir der Bezirksvorsteher-Stellvertreter des 3. Wiener Gemeindebezirks, ein Haider-Mann, die haben das Land wie eine Kolonie unter sich aufgeteilt. Nicht-Haider-Männer sagen das übrigens auch. Kein Schuldirektor, der nicht nach Parteienpropoz besetzt wird.

Haider ist älter geworden. Er hat viel gelernt inzwischen. Im März kam er in Kärnten an die Regierung. Aber er ließ nicht wie beim ersten Mal gleich alle rauswerfen. Natürlich fand der bisherige Kulturchef sein Türschild bereits abschraubt, als er nach der Wahl wieder zum Dienst erschien. Das hängt mit Haiders Vorstellungen von der Lösung des Intellektuellen-Problems im nachsartrischen Zeitalter zusammen. Aber andere durften diesmal sogar bleiben. Und erstmals gibt es jetzt in Kärnten – Novum in Österreich – richtige Parteilose in Aufsichtsräten. Zum Beispiel in den Kärntner Energiebetrieben.

Bei uns glaubt man, wenn das mal einer richtig durchrechnet, was Haider will, erledigen sich seine Wahlversprechen – Kinderscheck, billigere Mieten, Strompreise, Steuern usf. – von selbst. Das ist ziemlich arrogant. Denn im Vergleich zu Österreichs wohlsanierten Kassen leben wir im Chaos. Die Österreich bewegende Frage: Was machen wir mit den Überschüssen?, stellt bei uns kein Mensch.

Die eigentliche Schattenregierung in Österreich aber sind die Organisationen der „Sozialpartnerschaft“, die Kammern. Ein Erbe des faschistischen Ständestaates, definiert bündig der Essayist Menasse. An den Kammern kam bisher keine Regierung vorbei. Die FPÖ will sie aushungern. Durch Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft.

Der Ausländerhass ist in Österreich da am größten, wo es keine Fremden gibt

Haiders Partei nicht ernstzunehmen ist leichtsinnig. Denn sie vereint auf sublime Weise das Gegensätzliche, ohne dass es sofort auffällt. Sie steht für das Moderne und das Antimoderne zugleich. Bis zum EU-Beitritt stand Österreich ruhig wie ein Alpengipfel in der Sonne. Die Griechen dachten, dass Bewegung ein Merkmal der Unvollkommenheit ist. Die Österreicher denken das eigentlich auch. Und nun spürt das neue EU-Land immer stärker die Zentrifugalkräfte der westlichen Beschleunigungsgesellschaften. Alle lieben Eigenheiten der Österreicher, angefangen von den anonymen Sparbüchern, verschwinden allmählich. „Wettbewerbsverzerrung“ heißt das immer wiederkehrende Urteil der EU. Österreich wird seine quasi-ständische Struktur kaum behaupten können. Insofern steht Haider sogar am radikalsten ein für ein Erfordernis der Globalisierung. Andererseits reagiert er auf diesen Modernisierungsschock. Österreichs Medien bemerkten längst eine überraschende Parallele zu den neuen Bundesländern. Die Ausländerfurcht ist offenbar dort am größten, wo es am wenigsten Ausländer gibt. Fremdenhass sei in Österreich mehrheitsfähig. Nun liegt das wohl kaum daran, dass alle kleinen Österreicher in DDR-Kinderkrippen zusammen auf dem Topf sitzen mussten, wie die populärste Erklärung des Phänomens für Ostdeutschland lautet. Nein, beides sind Antworten auf Modernisierungsschocks, nicht vererbter Rassismus. Nur dass Haider diese Ängste benutzt ...

Wenn die ÖVP wie versprochen in die Opposition geht, dürfte die SPÖ an der Regierungsbildung scheitern. Dann müsste der Bundespräsident den Obmann der zweitstärksten Partei damit beauftragen, Jörg Haider. Selbst neue und schon etwas ältere Mitten können sich das gut vorstellen. Und Sartre ist tot.

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