Wärmflaschen

Rechtzeitig zum Herbstanfang verbreiten die Tindersticks und Arab Strap stimmungsvolle Trübsal  ■ Michael Hess

Nun also doch: Herbst. Während draußen vorm Fenster die ersten Stürme welkes Laub und stille Depression aufwirbeln, wird es Zeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Zeit also für einige melancholische Männer. Zeit für die Tindersticks und Arab Strap. Denn wenn diese beiden Bands am Sonntag in der Großen Freiheit zur stimmungsvollen Trübsal blasen, löst sich jeder Glaube an einen Zufall zwischen Wetter und Weltschmerz in Wohlgefallen auf.

Dabei sind Arab Strap mit solchen Zusammenhängen bes-tens vertraut, schließlich herrscht in der schottischen Heimat von Aidan Moffat und Malcolm Meddleton das meiste Jahr über Herbst. Ein Umstand, der für die Popwelt seit ihrer ersten Single kein Geheimnis mehr ist: „The First Big Weekend“ dokumentierte die Ereignisse jenes einzigen richtigen Sommerwochenendes 1996, an dem die schottischen Nationalkicker ausgerechnet die EM in England vergeigten. Die Erzählung, gehalten im robusten Dialekt der Highlander, wirkt wie ein spröder Monolog aus Trainspotting. Unterlegt von ebenso spartanischen Schlägen aus einer Beatbox, wie sie so zuletzt irgendwo bei New Order stand. Ein Rave in konsequenter Heimregie, pulsierend, euphorisierend mit einem genial geklauten Refrain.

Und selten wurden die einfachen Freuden großer, proletarischer Jungs – Drogen, Pornos, Fußball – derart sophisticated aufgearbeitet wie auf dem nachfolgenden Album The Week Never Starts Round Here. Auf Philophobia drifteten Arab Strap dann gänzlich ins „Prolo-sophische“ ab. Gegen die „Angst sich zu verlieben“ plädierten sie für das boshaft-ehrliche Liebeslied. Die Kids sollten schließlich früh genug Bescheid wissen über „das Furzen, das Kämpfen und das Ficken“, wie es Moffat prosaisch auf den Punkt brachte.

Ebenso nüchtern beschäftigt sich die mittlerweile zum Quartett angewachsene Band jetzt auf ihrem Major-Debüt mit den Folgen ihrer Aufklärung. In „Pro-(Your)Life“ raten sie, eine Abtreibung lieber gleich beim Namen zu nennen und für die Familienplanung einfach einen günstigeren Zeitpunkt zu wählen: „It's simple as this – the time's not right. You need a new job and some sleep tonight.“ Da verwundert es kaum, dass The Elephant Shoe von der Plattenfirma mit einer „explicit content“-Warnung versehen wird. Ansonsten beschreitenArab Strap durch ihr bislang ambitioniertestes Songwriting den schmalen Grat zwischen „angry young men“ und „boring old farts“. Was durchaus interessant sein kann und sie als Support für die Tindersticks geradezu prädestiniert.

Stuart Staples und seine Nottinghamer Mannen haben bekanntlich seit langem eine feste Vorstellung von Stil und geschmacklichem Äußeren. Neulich erst freute sich die Londoner Times über die „nicely turned out young men“, und wer das aktuelle Album der Band kennt, weiß, dass das Kompliment nicht mehr nur auf deren schicke Anzüge passt. Denn Simple Pleasures ist vor allem eins: eine wunderbare Soulplatte. Wie einst bei Curtis Mayfield oder Marvin Gaye bewegt sich Staples' Melancholie in einem gleichmäßigen Swing, der nur beim ersten Hören wie ein Stillstand anmutet.

In der Tat fehlen diesmal die großen Harmonizer vom Schlage „Her“ oder „Tiny Tears“. Stattdessen entführt uns Staples ins Schlafzimmer der Erwachsenen, in dem die Ehe längst den Sex ersetzt hat und sich nunmehr alles um Fragen wie „Can We Start Again“ dreht. Zweifel, die bevor sie ausgesprochen, längst um ihre Antwort wissen. Die Boheme scheint sich bei den Tindersticks langsam in die Nüchternheit des Privaten zurückzuziehen. Dass der Mann dabei immer noch wie eine Wärmflasche singt, macht genug Hoffnung für den kommenden Winter.

So, 10. Oktober, 21 Uhr, Große Freiheit