: Schwer gebeutelte Branchen
Das Prognos-Insitut schätzt die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis 2020 ein und die Prominenz schwankt zwischen Warnen und Beschwichtigen ■ Aus Basel Stefan Tolksdorf
Etwa alle fünf Jahre erarbeitet die Prognos AG aus Basel ihren „Deutschland-Report“. Darin versuchen die Schweizer Wirtschaftsforscher, für ihr großes Nachbarland die Trends für die nächsten 20 Jahre abzuschätzen. Die weltweit etwa 100 Prognos-Leute nehmen für sich in Anspruch, unter anderem die erste Ölkrise und bereits Anfang der 80er-Jahre die hohe Arbeitslosigkeit in den 90er-Jahren vorausgesagt zu haben. In den Prognosen wird nicht das unterstellt, was gesellschaftlich wünschenswert oder ökonomisch vernünftig wäre, sondern das, was angesichts der Rahmenbedingungen und politischen Zwänge als wahrscheinlich gelten kann.
Die Zukunft der bundesrepublikanischen Wirtschaft, so verheißt der jüngste Prognos Deutschland-Report, nimmt sich in den kommenden zwei Jahrzehnten so übel nicht aus. Allerdings werde die Zahl der Arbeitslosen erst nach 2010 dauerhaft unter die Vier-Millionen-Grenze sinken – trotz einer halben Million neuer Arbeitsplätze: Wegen der wachsenden Zahl von Erwerbspersonen im Land wird der Arbeitsmarkt nicht entlastet. Es wächst allerdings nur die Zahl derjenigen im arbeitsfähigen Alter; die gesamte Bevölkerung geht von 82 Millionen Menschen im Jahr 1996 bis 2020 auf knapp 81 Millionen zurück. Ab 2010 fällt dann auch die Zahl der Erwerbstätigen. Die Zahl der Rentner hingegen steigt um zwei Fünftel.
Die deutsche Wirtschaft halte aber mit Zuwachsraten von durchschnittlich zwei Prozent ihren alten Wachstumskurs, vor 2010 etwas höher, danach niedriger. Freilich nur, sofern die Chancen auch genutzt werden, die sich bieten: Die Schweizer prognostizieren für den Welthandel ein Wachstum von etwas über 5 Prozent jährlich, die Weltwirtschaft soll demnach um 3 Prozent pro Jahr expandieren. Hier denken die Basler, dass es den Deutschen einigermaßen gelingt, Produktionsstandort für hochwertige Erzeugnisse zu bleiben – auch, weil die Lohnsteigerungen insgesamt moderat bleiben und flexible Löhne weitere Verbreitung finden.
Wenn sich ab 2010 die Zahl der Erwerbspersonen um 5 Prozent ihres heutigen Bestandes verringert, werden trotz gestutzter gesetzlicher Renten- und Krankenversicherung die Beiträge zumindest leicht steigen, so die Schätzung von Prognos. Das heißt: Rückgang der Massenarbeitslosigkeit und höhere Belastungen für Unternehmen und Beschäftigte für die Altersversorgung.
Die Industrie, so Prognos, wird bis 2010 wahrscheinlich 20 Prozent ihrer Arbeitsplätze abgebaut haben. Jeder dritte Arbeitsplatz verschwindet im Bauhauptgewerbe und in der chemischen Industrie, jeder fünfte in Elektronik und Maschinenbau. Bessere Zeiten aber für das Dienstleistungsgewerbe. Dort dürften in 20 Jahren weit über zwei Millionen Menschen mehr als derzeit beschäftigt sein – in Branchen wie Software, Multimedia, Forschung oder Werbung.
Ab 2020 wird es dann ernst: Dann soll die Konkurrenz der Staaten Asiens und Osteuropas das Wachstumstempo im Westen spürbar drosseln. Die am vergangenen Freitag zum „Prognos-Zukunftsforum“ nach Basel geladenen Politiker und Ökonomen sahen das aber nicht so tragisch.
Zur Frage „Entmachtet die globalisierte Wirtschaft die Politik?“ warnte zwar der ehemalige Kanzlerberater und jetzige BMW-Vorstand Klaus Teltschik: „Wer sich nicht anpasst, entmachtet sich selbst.“ Deutschland sei auf dem besten Weg seine Standortvorteile zu verspielen, solange die Politik mit dem Innovationstempo der Wirtschaft nicht Schritt halte. Der oft zitierten „Wissensgesellschaft“ fehle es etwa an Intitutionen zum „lebenslangen Lernen“. Und solange Strukturreformen wie die seit einem Jahrzehnt angekündigte Steuerreform ausblieben, werde der Standort Deutschland dem internationalen Konkurrenzdruck nicht gerecht.
Der Basler Wirtschaftswissenschaftler Silvio Borner mokierte sich jedoch eher über die herumgeisternde „Globaphobia“. Dabei könne die Globalisierung den politischen Handlungsspielraum kaum schmälern, dies verhindere schon der Einfluss supranationaler Regulatoren, wie EU, Nafta und WTO. Grundlos sei die Angst vor der „Globalisierungsfalle“, vor Sozial-und Öko-Dumping, denn schließlich könne die Politik ihren Handlungsspielraum doch noch immer selbst bestimmen.
Nein, nicht die Wirtschaft entmachte die Politik, sie zwinge sie nur zu größerer Flexibilität. Und, fragt Borner, ist nicht der Weltmarkt verglichen mit dem Nationalstaat eine relativ friedliche Institution?
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