: Finnen fordern freie Fahrt
■ Unter der finnischen EU-Präsidentschaft steht das Fahrverbot für Lkws an Sonntagen jetzt in Frage. Deutschland, Frankreich und Italien wollen Schwerlaster aber weiter bremsen
Brüssel (taz) – Was passieren kann, wenn Lkw-Fahrer – wie heute in der EU gang und gäbe – mehr als 60 Stunden pro Woche hinter dem Lenkrad sitzen, demonstrierten einige von ihnen in der Nacht zum Mittwoch. Sie inszenierten „Unfälle“ am belgisch-luxemburgischen Grenzübergang und legten den Verkehr lahm.
Dass die Aktion der Brummifahrer keine Panikmache ist, zeigt die Statistik: Bei 18 Prozent aller EU-weit tödlich verlaufenden Unfälle sind Lastwagen beteiligt. Zwar gibt es seit 1993 eine EU-Arbeitszeitrichtlinie, die eine Obergrenze für Tarifverträge vorgibt. Bislang waren davon aber wichtige Bereiche, unter anderem das Transportwesen, ausgenommen. Die Gewerkschaften fordern seit langem, für die EU-weit etwa drei Millionen Beschäftigten im Straßengüterverkehr verbindliche Arbeitszeitobergrenzen festzulegen.
Nach dem Entwurf der EU-Kommission, der seit einem Jahr vorliegt, soll die 48-Stunden-Woche festgeschrieben und nur in Ausnahmefällen auf bis zu 60 Stunden ausgedehnt werden können. Geplant ist auch ein jährlicher Mindesturlaub von vier Wochen.
Strittig ist aber, ob die neue Richtlinie auch für selbständige Spediteure gelten soll. Österreich, Großbritannien, Schweden und die Niederlande sind dagegen, weil sie glauben, dass dieser Personenkreis ohnehin nicht kontrolliert werden kann. Deutschland, Belgien, Frankreich, Portugal und die EU-Kommission sind dafür, weil sie sonst Wettbewerbsverzerrungen und Sicherheitsprobleme befürchten. Einzelunternehmer könnten weiter über die Übermüdungsgrenze hinaus fahren und auch noch die Transportpreise drücken. In dieser Pattsituation steckt die Arbeitszeitreform fest. Vor dem nächsten Verkehrsministerrat im Dezember ist keine Einigung zu erwarten.
Während einerseits versucht wird, das Leben der Brummifahrer menschenwürdiger und sicherer zu machen, stand beim Verkehrsministerrat gestern in Luxemburg auch ein Thema auf der Tagesordnung, das genau das Gegenteil bewirken könnte: Die Harmonisierung der Fahrverbote im grenzüberschreitenden Güterverkehr.
Hinter dem harmlosen Titel verbirgt sich ein Vorhaben, das dem Bemühen um kürzere Fahrzeiten und längere Ruhepausen entgegensteht: Die Einschränkung des Sonntagsfahrverbots für Lastwagen. Nur in sechs der fünfzehn EU-Staaten gibt es bislang Wochenend-Beschränkungen für den Schwerverkehr. Sie sollen keineswegs auf die ganze EU ausgedehnt, sondern in den sechs Ländern harmonisiert werden – auf kleinstem gemeinsamen Nenner.
Deutschland lässt bisher ab Samstag, 24 Uhr, keine Brummis mehr passieren, Frankreich ab 22 Uhr und Österreich schon ab 15 Uhr. Für Laster aus den Nachbarländern ist bislang an der Grenze Zwangspause – auch, wenn sie selber kein Fahrverbot haben. Vor allem Länder an der Peripherie der Union, die nicht unter Transitverkehr zu leiden haben, aber ihrerseits gern ungehindert die Transitländer durchqueren würden, haben ein Interesse daran, dass sich das ändert.
So erklärt sich, dass die „Harmonisierungsdebatte“ unter österreichischer und deutscher EU-Präsidentschaft nie auf die Tagesordnung kam, aber jetzt von den Finnen angekurbelt wird. Unter anderem Deutschland, Frankreich und Italien können aber mit ihrer Sperrminorität blockieren. Daniela Weingärtner
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