: Mut finden für Forum der Unzufriedenen
Immer mehr unbezahlte Überstunden bei Klinikärzten ■ Von Ulrike Winkelmann
Der Mann ist etwas verschnupft. „Man hat uns nicht informiert, daher gehen wir davon aus, dass alles in Ordnung ist“, sagt Horst Judaschke, stellvertretender Geschäftsführer der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft (HKG), dem Verband, in dem die Träger der Hamburger Krankenhäuser zusammengeschlossen sind.
Grund für seinen Unwillen ist eine Diskussion unter dem Titel „Ausbeutung junger Ärzte“, die Anfang der Woche auf der Jahresversammlung der Hamburger Ärztekammer stattfand. Fast hundert junge ÄrztInnen hatten sich dort über die Hauptbelastungen ihres Berufes beklagt: Überstunden, die nie entgolten werden, und Bereitschaftsdienste. Denn 32-Stunden-Schichten sind in Hamburgs Kliniken keine Seltenheit. Das seit dem 1.1.1996 geltende gesetzliche Verbot, Ärzte nach einem Nachtdienst weiterarbeiten zu lassen, wird oft nicht eingehalten.
Die HKG fühlt sich von den Protesten auf die Füße getreten, denn, sagt Judaschke, „wir haben mit der Ärztekammer vereinbart, dass sie uns Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz meldet. Solange sie das nicht tut, können wir auch nicht einschreiten.“
Wenn die HKG sich angesprochen fühlt, „ist das kein Nachteil“, sagt dazu Hamburgs Ärztekammer-Chef Frank Ulrich Montgomery. Das Problem der Nachwuchsärzte freilich ließe sich nicht nach den Buchstaben des Arbeitszeitgesetzes lösen. „Es geht darum, erst einmal ein Forum für die Unzufriedenheit zu schaffen“, erklärt Montgomery. Jungen Ärzten fehle es „vor allem an Mut“, sich über den wachsenden Arbeitsdruck, verursacht durch Sparprogramme und gleichzeitigen Anstieg der Patientenzahlen, zu beschweren.
Der Mangel an Mut hat Ursachen. „Die Angst vor Repressalien durch den Chef geht so weit, daß die Leute ihre Überstunden nicht melden“, sagt ein Assistenzarzt vom Universitätsklinikum UKE, der aus demselben Grund nicht genannt werden will. „Weder Polizei noch Bundeswehr sind so hierarchisch organisiert wie Krankenhäuser.“ Eine Mischung aus Standesdünkel und Berufsethos unter den jungen Ärzten habe zur Folge, dass niemand die überlangen Arbeitszeiten in Frage stelle, und „wer es doch tut, gilt als schlechter Arzt und bekommt seinen Vertrag nicht verlängert“.
Dabei wird das Versprechen, dass all die Arbeit irgendwann mit einem hohen Status entgolten wird, inzwischen nicht mehr eingelöst: Auch Hamburg hat die ersten arbeitslosen Ärzte zu vermelden.
Durchschnittlich 8,5 Überstunden pro Woche macht laut Umfragen jeder Klinikarzt, gibt Ärztekammer-Vorsitzender Montgomery an. Auf die rund 3000 Hamburger Klinikärzte umgelegt, lässt sich daraus errechnen, dass 350 Vollzeitstellen geschaffen werden könnten, wenn die Zahl der Überstunden nur um die Hälfte verringert würde: „Das entspricht genau der Zahl der arbeitslos gemeldeten Ärzte“, sagt Montgomery.
Um die Überlast in den Griff zu bekommen, schlägt er eine saubere, kontrollierte Dokumentation der Überstunden vor. „Stechuhren sind nicht die Lösung“, widerspricht ihm der UKE-Assistenzarzt. „Das ganze Arbeitsplatzmodell Krankenhausarzt muss überarbeitet werden. An einem Abbau der Hierarchien führt kein Weg vorbei.“
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