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Fundamentalisten der Westküste

Gerhard Gimmini ist Krabbenfischer. Und ein Krabbenfischer will Krabben fischen. Die Kieler Landesregierung aber will den Nationalpark erweitern. Wie eine klitzekleine Schutzzone für einen Riesenärger sorgen kannVon Ulrike Winkelmann

Um halb fünf Uhr morgens leuchten über Büsum noch Mond und Sterne. Die Paloma G. ist der einzige Krabbenkutter, der gerade den kleinen Nordseehafen verlässt. Das Meer ist ruhig, die Paloma G., knapp 17 Meter lang, blau-vanille und mit ihren 16 Jahren schon kein junges Ding mehr, pflügt Richtung Westen.

Die Zeiten, da alle Büsumer Krabbenfischer zusammen aufgebrochen seien, sind lange vorbei, sagt Kapitän Gerhard Gimmini. „Wozu auch diese Cliquenwirtschaft? Wenn irgendwo Krabben sind, find' ich sie von alleine.“ Grundsätzlich, meint er, sind die Krabbenfischer kein fürchterlich geselliges Volk, und viele glauben, dass da, wo sie immer fischen, ihr höchsteigenes Revier wäre. „Aber das gibt's nicht, Reviere. Hier auf dem Meer darf jeder alles und überall.“ Wo die Krabben knüppeldick sitzen, kommen sich so zwei Kutter auch mal in die Quere, dann gibt's Ärger über Funk.

Wo die Krabben überhaupt sitzen, „das ist eine Wissenschaft für sich“, sagt Gimmini und zieht die buschigen Augenbrauen unter dem Prinz-Heinrich-Mützenschirm ganz hoch. „Krabben sind wie Unkraut, mal hier, mal da, mal viel, mal nichts – da kann man nichts vorhersehen.“ Im Unterschied zu Fischschwärmen tauchen Krabben nicht auf dem Radar auf. Die Krabbe, oder, wie die Biologen sagen: die Nordseegarnele crangon crangon, bildet im niedrigen Wattenmeer dichte oder weniger dichte Teppiche knapp über dem Boden, unsichtbar für jedes menschliche oder elektronische Auge. Das ist ihr Glück: „Wenn's dafür Gerätschaften gäbe, gäbe es keine Krabben mehr“, erklärt Gimmini.

Sechs Seemeilen vor Büsum muss plötzlich alles ganz fix gehen: Per Bordelektronik und mit hydraulischen Winden gesteuert, werden die Fanggeschirre heruntergefahren. Die beiden Schleppnetze an langen, eisernen Stangen links und rechts des Schiffes versinken im Wasser. Warum Gimmini ausgerechnet hier Krabben vermutet, bleibt sein Geheimnis: Das hat was mit der Tide zu tun“, ist die dürre Auskunft. Er tippt sich an den Kopf: „Alles hier drin.“

Seit über dreißig Jahren ist Gimmini schon auf See. Mit 14 ging er auf große Fahrt, mit 24 hat er sich selbständig gemacht. Seine Brüder sind auch Krabbenfischer. „Wenn man erst seinen eigenen Kutter hat, dann quatscht einem keiner mehr in die Arbeit.“ Freiheit, die er meint. Und nun quatschen ihm die Besserwisser von der Ostküste doch in die Arbeit. Nächste Woche will die rot-grüne Landesregierung in Kiel ein neues Nationalparkgesetz verabschieden. Der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer wird nach der Gesetzesnovelle eine „Nullnutzungszone“ erhalten, wo auch die Krabbenkutter nicht mehr fischen dürfen. Überhaupt gar kein Mensch soll sich in den 12.500 Hektar Wattenmeer zwischen dem Hindenburgdamm, der Sylt mit dem Festland verbindet, und der Insel Föhr herumtreiben. Kaum ein Drittel dieser Fläche, 3.500 Hektar, ist überhaupt befischbar; das macht weniger als ein Prozent von der gesamten befischbaren Fläche des Nationalparks aus. Ein Nationalpark, erklärt Thomas Borchardt vom Nationalparkamt in Tönning, „braucht Flecken ohne menschliche Einwirkung, in denen die natürliche Entwicklung beobachtet werden kann“.

Die haben doch alle keine Ahnung, sagt Gimmini, diese Grünen, diese Doktoren. „Wir sind die echten Naturschützer! Wir leben mit der Natur!“ Die Maschinen der Kutter, die sind heute so sauber, „kein Tropfen Öl geht da mehr daneben“. Und das Gerede von Naturschutz – „noch nie war das Meer so voller Tiere! So viele Seehunde wie dieses Jahr hat es überhaupt noch nie gegeben.“ Dabei sei völlig klar, dass es der Nordsee besser gehe, weil die Flüsse sauberer seien, „nicht, weil die da an ihrem Nationalpark herumfrickeln“.

Ende August hat Gimmini mit der Paloma G. die größte Kutterdemonstration aller Zeiten von der Nordseeküste durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel angeführt. In der Kieler Förde vor dem Landeshaus haben 150 Krabben- und andere Kutter getutet und Stimmung gemacht.

Eine grüne Landtagsabgeordnete wurde mit „blöde Schlampe!“ begrüßt, SPD-Abgeordnete ernteten nichts als Pfeifen und Buhrufe. „Die sollten mal sehen, dass wir da rüberkommen können“, sagt Gimmini. „Und die werden schon sehen, was passiert, wenn die ihr Gesetz verabschieden.“ Was denn? Gimmini grinst. Noch so ein Geheimnis. Die einzige Nullnutzungszone, die der Nationalpark Wattenmeer bislang hat, gehört zum schmalen Hamburger Segment in der Elbmündung. Und wird von den Fischern schlichtweg nicht beachtet.

Der erste Hol des Tages macht Gimmini nicht glücklich: „Zuviel Schietkram dazwischen.“ Die Netze, die vom einzigen Gehilfen an Bord, Harald Claußen, in den großen Krabbentrichter geleert werden, sind voller kleiner Fische. Silbern zappeln sie zwischen tausenden von Krebsen, Seesternen, Aalen, und Quallen – und natürlich Krabben. Die krabbelnde und wimmelnde Ladung wird häppchenweise in eine rotierende Siebtrommel befördert: Die Krabben landen in Körben, der Rest wird durch den Schiffsboden wieder ins Meer geleitet. Woher wussten die Möwen das? Plötzlich sind sie da und heften sich als kreischender, kackender Schweif an den Kutter; die gesiebten und getrommelten, reichlich benommen an der Wasseroberfläche paddelnden Krebse haben keine Chance.

Während die Krabben noch kochen – acht bis zehn Minuten, dann haben sie den bekannten, appetitlichen rosa Schimmer –, lässt Gimmini die Geschirre wieder ins Meer klatschen. Es ist sechs Uhr, die Sonne geht auf. Die Paloma G. ändert ihren Kurs ein wenig. Wenige Seemeilen weiter, direkt hinter einem von Tonnen markierten Schiffswrack, hat Gimmini eine seiner Lieblingsfangstellen. Im Zwanzig-Minuten-Takt werden die Netze jetzt aus dem Wasser gehievt, wird die Ladung mehrfach gesiebt, gekocht, mit der Hand noch einmal durchgewühlt. Der Krabbenkochtopf stinkt und qualmt wie eine ganze Fischfabrik, auf dem Deck sammelt sich zertretenes, angeditschtes und sterbendes Seegetier, es wird glitschig. Harald schwitzt in seinem Ölzeug und bringt den ersten Schwung bunter Plastikkrabbenkisten in den Kühlraum. Gepult werden die Krabben in Marokko, Tunesien und Polen. Für die teure Krabbenpulmaschine, die man in Büsum hätte hinstellen können, haben sich nicht genug Beteiliger gefunden, sagt Gimmini und meint seine Fischerkollegen: „Da hätten alle mitziehen müssen, aber das war denen zu riskant.“

105 Krabbenfischer stehen zur Zeit in Schleswig-Holstein im Register, in Niedersachsen sind es ein wenig mehr. Zusammen mit den dänischen und holländischen Krabbenfischern, die aber nur jenseits der Drei-Seemeilen-Zone bleiben dürfen, fischen etwa 350 Krabbenkutter im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Sie sind die einzigen, die das überhaupt noch dürfen. Die Muschel- und Gammelfischerei ist schon seit der Einrichtung des Parks vor vierzehn Jahren aus der engeren Schutzzone verbannt. „Inzwischen ärgern wir uns, dass wir damals die Muschelkutter nicht unterstützt haben“, erklärt Gimmini. „Die haben damals schon gesagt, ihr seid auch noch dran.“

Mit dem Streit um die Nullnutzungszone ist es nun soweit: Die Krabbenfischer meinen, dass es ihnen an den Kragen geht. „Wir sind denen in der Auswahl der Fläche schon entgegengekommen“, schimpft Borchardt vom Nationalparkamt. „Im Gebiet zwischen Sylt und Föhr fischt doch kaum jemand.“ Nun, wenn dort in diesem Jahr nicht viel gefischt wird, dann aber im nächsten, hält Gimmini dagegen. „Keiner weiß, wo die Krabben dann sind.“ Vielleicht müssten alle Krabbenfischer ausgerechnet in das Nullnutzungsgebiet ausweichen: „Da geht's um Existenzen!“ Im Übrigen aber geht es ums Prinzip: „Erst wollen sie 12.500 Hektar, dann wollen sie mehr.“ So sind sie, die Naturschützer: „Wenn man denen den kleinen Finger reicht, nehmen die als nächstes die ganze Hand.“

Nicht nur die Krabben- und Muschelfischer haben in den vergangenen Jahren gelernt, „Naturschutz“ mit „Existenzbedrohung“ zu buchstabieren. Im September 1996 legten die Wissenschaftler von den Nationalparkämtern den sogenannten Synthesebericht Wattenmeer vor, eine vielhundertseitige Studie zu den Möglichkeiten einer Erweiterung des Nationalparks. Das Ergebnis des anschließenden Mitbestimmungsverfahrens zur Verschärfung des Nationalparkgesetzes resümiert Georg Quedens, seit Jahrzehnten Naturschutzbeauftragter der Insel Amrum, so: „Die Landesregierung und die Umweltverbände Nabu, BUND und WWF haben es geschafft, die gesamte Westküste gegen den Nationalpark aufzubringen.“ Die Diskussion sei in etwa so verlaufen, als wenn „den Hamburgern heute gesagt würde, dass ihre Stadt morgen in Trümmer gelegt wird, um Turmfalken und Haubenlerchen bessere Nistplätze zu verschaffen“.

Und nun hätten eben die Fundamentalisten auf beiden Seiten das Sagen, sagt Quedens. Gemeint sind mit solch dunklen Worten unter anderem die Aktivitäten der CDU an der Westküste. Der Husumer CDU-Landrat Olaf Bastian, Vorsitzender des Nationalpark-Kuratoriums Nordfriesland, hat noch jede Anti-Nationalpark-Initiative mit guten Worten und logistischer Unterstützung verwöhnt, ob es sich um den 1998 gegründeten Bundesverband der Nationalparkbetroffenen oder um die Anfang 1999 ausgerufene Allianz der Westküste handelt. Für ein neues Gesetz, verkündet Bastian bei jeder sich bietenden Gelegenheit, „gibt es keinen Grund“. Und das Ganze, obwohl es die CDU war, die 1985 die Errichtung des Nationalparks beschlossen hat. Aber nun bereitet sich Bastian auf eine Aufgabe in einer vielleicht schon bald real existierenden Landesregierung vor, unter Volker Rühe als Ministerpräsidenten, versteht sich. Im Februar wird in Schleswig-Holstein gewählt.

Kapitän Gerhard Gimmini interessiert sich für parteitaktische Finessen nicht. „Man kann nur eines: Entweder fischen oder Politik machen“, sagt er dazu. Um fünf Uhr nachmittags holt er seine Netze das letzte Mal aus dem Wasser, denn um sechs steht der Lkw des holländischen Krabbenkonzerns in Büsum am Kai und wartet auf ihn. Fünf Mark zahlt „der Holländer“ zur Zeit für das Kilo, aber die Preise drohen zu fallen, die Fischer waren zu fleißig dies Jahr. Da wird man sich darüber verständigen müssen, ob nicht einfach weniger gefischt wird. Seitdem die Krabbenfischer einen gemeinsamen Feind haben, könnten auch gewisse Absprachen wieder besser funktionieren. Aber auch die Geheimnisse des Krabbenpreises behält Gimmini am liebsten für sich. „Ich will fischen, wo ich fischen will.“ Das ist alles.

Zitat:„Die sollten mal sehen, dass wir da rüberkommen können. Und die werden schon sehen, was passiert, wenn die ihr Gesetz verabschieden.“

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