: „Den Konflikt wagen“
■ Die Grünen wollen ihr Profil in der Koalition schärfen. Christian Simmert erläutert, was das für das Identitätsthema Asylpolitik bedeutet
taz: Die Grünen wollen gegenüber der SPD den „begrenzten Konflikt“ wagen. Was bedeutet das für die Asylpolitik?
Christian Simmert: Die Asylpolitik ist eines der Identitätsthemen von Bündnis 90/Die Grünen. Wir vertreten dort andere Positionen als die SPD und werden diese in Zukunft vehementer durchzusetzen versuchen. Der SPD-Innenminister Otto Schily setzt die restriktive Flüchtlingspolitik seines CDU-Vorgängers Manfred Kanther fort. Damit sind wir nicht einverstanden.
Was verlangen Sie konkret von der Bundesregierung?
Auf unsere Initiative hin hat die rot-grüne Mehrheit im Bundestag einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen. Wir erwarten, dass die Bundesregierung dies nun umsetzt.
Innenminister Schily sagt, die Bundesregierung könne die Vorbehalte nicht zurücknehmen, denn es sei „nach deutschem Recht nicht möglich, dass ein Flüchtling ein Aufenthaltsrecht allein deshalb erhält, weil er noch nicht volljährig ist“.
Es geht zunächst gar nicht um ein Aufenthaltsrecht. Der Kinderrechtskonvention wäre schon Genüge getan, wenn Schily den Erlass seines Vorgängers Kanther zurücknehmen würde, nach dem auch Minderjährige ins Flughafenverfahren müssen. Wir fordern, dass unbegleitet einreisende jugendliche Flüchtlinge bis 18 Jahre nicht am Flughafen in Verwahrung genommen werden. Sie sollten einreisen können und in eine Jugendhilfeeinrichtung gebracht werden. Dafür sollten die Kinder und Jugendlichen zunächst eine Aufenthaltsbefugnis bekommen.
Der Innenminister hat angeboten, dass die Jugendlichen in einem gesonderten Gebäude am Flughafen betreut werden. Können Sie das akzeptieren?
Nein. Einen Kinderknast am Flughafen lehnen wir ab. Niemand würde auf die Idee kommen, ein deutsches Kind am Flughafen einzusperren. Flüchtlingskinder müssen die selben Rechte haben wie deutsche Kinder.
Was ist mit den Jugendlichen, die nicht am Flughafen ankommen, sondern über eine Grenze?
Auch sie werden zur Zeit so behandelt wie Erwachsene. Wenn sie aus einem so genannten sicheren Drittstaat kommen, werden sie ohne Betreuung zurückgewiesen, das heißt alleine gelassen. Die UN-Kinderrechtskonvention schließt so etwas aus. Danach ist das Kindeswohl ein höherrangiges Gut als die geltende Asylpraxis der Unterzeichnerstaaten. Die Jugendlichen müssen erst mal einreisen dürfen, damit die Umstände ihrer Flucht geklärt werden können. Dafür müsste der Asylkompromiss von 1993 nicht angetastet werden. Ich halte eine solche Änderung zwar für dringend notwendig, die UN-Konvention können wir aber auch ohne sie vorbehaltslos anwenden.
Die Konvention schreibt auch vor, dass Minderjährige nicht voll verfahrensfähig sein dürfen. In Deutschland sind Flüchtlinge ab 16 verfahrensfähig. Auch daran will Schily nicht rütteln.
Da werden wir den Konflikt mit dem Innenminister wagen müssen. Ein 16-jähriger Flüchtling ist doch nicht in der Lage, selbstständig und ohne Unterstützung ein Asylverfahren zu durchlaufen. Ein 16-jähriger Deutscher ist auch nur eingeschränkt geschäftsfähig, dem würde man so ein Verfahren nicht zumuten.
Wie wollen Sie den Innenminister zum Einlenken bringen?
Wir müssen weiter Druck machen. Den Außenminister haben wir hinter uns. Er weiß, dass wir international schlecht dastehen, solange wir die UN-Konvention nicht vorbehaltlos unterschrieben haben. Mit welchem Recht können wir Verletzungen der Kinderrechte in anderen Ländern anprangern, wenn wir sie selbst nicht einhalten? Interview: Tina Stadlmayer
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