: Sauger und Schnuller sind im Klinikschrank verbannt
■ In der Klinik Links der Weser dreht sich alles um's Stillen / UNICEF vergab Plakette „Stillfreundliches Krankenhaus“ / Bundesweit sind elf Krankenhäuser ausgezeichnet
Im Krankenhaus Links der Weser spielt niemand heile Welt. „Aller Anfang ist schwer“ steht da auf einem Wandfoto, das einen Stillversuch zeigt: Das Baby verschmäht mit zusammengepressten Lippen die Brustwarze. „Am Anfang eher der Normalfall“, sagt dazu Klinik-Psychologin Johanna Volkenborn-Gerds. Doch ebenso „normal“ ist hier auch, dass es „dann später doch gut klappt“. Denn in der Klinik Links der Weser läuft so manches anders: Sie praktiziert „10 Schritte zum erfolgreichen Stillen“ – und ist damit weltweit als „Stillfreundliches Krankenhaus anerkannt“.
Ganze elf von rund tausend Kliniken in ganz Deutschland tragen diese Plakette bereits – vergeben von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF). Das Auszeichnungs-Ziel: Durch erfolgreiches Stillen die „Gesundheit von Mutter und Kind“ fördern und erhalten – und deshalb mit der Stillförderung gleich nach der Geburt im Krankenhaus anzufangen. Das nämlich ist in den meisten Kliniken keine Selbstverständlichkeit – „wegen überholter Strukturen im Klinikalltag“, sagt die Bremer Klinikpsychologin Johanna Volkenborn-Gerds.
Denn jahrelang lief das Stillen im Krankenhaus Links der Weser eher so nebenbei: Kinder und Mütter waren nämlich getrennt – auf der Kinderstation und der Wochenstation untergebracht. „Und dann haben wir das Kind fünfmal pro Tag vorbeigebracht, nach dem Stillen gewogen – und wenn's nicht gereicht hat, gab's die Flasche“, erinnert sich Schwester Hilke Marr-Seiger. Die Folge: Durch das Zufüttern brachen die meisten Frauen das Stillen nach nur sechs Wochen wieder ab.
Heute dagegen sind Nuckler, Flaschen und künstliche Babynahrung – als Still-Killer – im hintersten Klinikschrank verbannt: Zufüttern ist im „stillfreundlichen Krankenhaus“ nur noch bei dringenden „gesundheitlichen Gründen“ angesagt. Dafür bekommen die Frauen sofort nach der Geburt eine professionelle Stillanleitung – „weil es eben nicht die Regel ist, dass gleich sofort alles super klappt.“
Gleich als Mutter Christiane Becker nach dem Kaiserschnitt wieder „fit war“, legte ihr die Schwester „Jonathan“ zum Stillen an und half beim Finden der richtigen Position. Und gab später jede Menge Tipps: Wie kann Mama Jonathan zeigen, dass er nicht nur schmerzhaft an der Spitze der Brustwarze saugen soll? Und wie soll Mama eigentlich das festgesaugte Mündchen wieder vom Busen lösen, ohne sich die Brustwarze auf Dauer kaputtzureißen? „Da braucht man ganz viel Hilfe, um nicht den Mut zu verlieren und die Sache wieder sein zu lassen.“
„Ganz aktive Stillhilfe“ leisten die Schwestern deshalb – um den von Geburt oder Kaiserschnitt geschlauchten Frauen „schnell Erfolgserlebnisse bei den ersten Stillversuchen“ zu verschaffen – damit sie nicht gleich aufgeben und zur Flasche greifen, erklärt Schwester Hilke Marr-Seiger. Gezwungen werde aber niemand: „Es gibt eben Frauen, die merken, dass sie das Stillen doch nicht abkönnen – und dann sprechen wir das auch sofort an.“
Möglich wurde das alles durch eine komplett neue Klinik-Aufteilung: Statt getrennter Kind- und Mutterstationen bleiben Mutter und Kind jetzt Tag und Nacht zusammen – und statt Kinder- und Stationsschwestern gibt es nun die „Universalschwester“: „Sie weiß neuerdings über Mutter und Kind Bescheid“, sagt Stationsleiterin Brigitte Voigt. Sie unterstützt beide beim Stillen mit dem Zehn-Schritte-Programm – vom sofortigen Anlegen nach der Geburt bis zum zurückhaltenden Umgang mit Gummisaugern und Schnullern. Außerdem lädt eine Stillküche und ein extra eingerichtetes Stillzimmer auf der Station mit zwei bunten Ohrensesseln und weichen Stillkissen zum Stillen ein.
Alle zwei Jahre kontrollieren Experten von UNICEF erneut die Stillfreundlichkeit der Klinik. Und dann feilt das Krankenhaus weiter am neuen Pflege- und Stillkonzept. Denn seitdem verdoppelten sich im Krankenhaus Links der Weser die Geburtenzahlen. Stillen und stillfreundliche Betreuung sind offenbar heutzutage bei den werdenden Müttern angesagt: „Die Frauen“, sagt die Bremer Klinikpsychologin Johanna Volkenborn-Gerds, „verlangen einfach selbstverständlich danach.“ kat
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