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■ Das Angebot der Bundesregierung zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern ist den Opferverbänden viel zu gering. Kanzler Schröder soll sich stärker engagieren. Die Verhandlungen werden im November in Bonn fortgesetzt
Berlin (taz/dpa) – Das erste kon krete Angebot ist nicht hoch genug: Zu gering sei die Entschädigung von 6 Milliarden Mark, die die Bundesregierung und die deutsche Industrie an NS-Zwangsarbeiter zahlen will, das befanden einhellig alle Opferverbände und der Zentralrat der Juden. Bundeskanzler Schröder müsse sich stärker engagieren und zeigen, „wo ein Ergebnis zu suchen sei“, erklärte Michel Friedman, Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden. Rechtsanwalt Michael Witti, der mit amerikanischen Kollegen die Opfer vertritt, zeigte sich jedoch optimistisch, dass man noch dieses Jahr zu einem Ergebnis kommen werde (siehe Interview).
Die deutsche Firmen und die Bundesregierung wollen den ehemaligen NS-Zwangsarbeitern jeweils zwischen 3.500 und 10.000 Mark Entschädigung zahlen. Nach dem Vorschlag der deutschen Seite soll eine Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit dem Kapital von 6 Milliarden Mark geschaffen werden. Die Wirtschaft zahlt 4 Milliarden, der Bund 2 Milliarden Mark ein.
Das Geld soll aufgeteilt werden zwischen den rund 220.000 KZ-Zwangsarbeitern, die in den Lagern unter schlimmsten Bedingungen arbeiten mussten. Jeder von ihnen soll 10.000 Mark bekommen, insgesamt gehen 2,2 Milliarden Mark an diese Opfer. Die mehr als eine halbe Million Zwangsarbeiter der so genannten Kategorie B, also jene, die aus ihren Heimatländern deportiert wurden und dann in den Firmen arbeiten mussten, sollen jeweils etwa 3.500 Mark bekommen. Der Rest des Geldes geht unter anderem an Betroffene, die Vermögen verloren haben, und an Opfer medizinischer Experimente.
Die Anwälte hatten auf das Sechs-Milliarden-Angebot enttäuscht reagiert: „Das ist nicht nur eine Beleidigung der Opfer, sondern auch eine Beleidigung Deutschlands“, erklärte der New Yorker Rechtsanwalt Edward Fagan. Der tschechische Vertreter bei den Verhandlungen wollte den Vorschlag „erst prüfen“ lassen, bevor er ihn kommentiere. Mit Empörung und Enttäuschung haben ukrainische Opferverbände reagiert. „Die genannte Summe ist lächerlich und armselig“, teilte der zentrale Verband der Naziopfer in Kiew mit. Bundeskanzler Schröder hatte die Offerte hingegen als „würdiges Angebot“ bezeichnet.
Mitte November soll in Bonn weiter verhandelt werden. Die Anwälte der Opfer fordern eine Entschädigungssumme in zweistelliger Milliardenhöhe. Sie berufen sich dabei auf Einzelurteile deutscher Gerichte und darauf, dass Unternehmen wie VW schon Entschädigungen in Höhe von jeweils 10.000 Mark an Zwangsarbeiter bezahlt haben.
Die deutsche Wirtschaft reagierte auf diese Vorwürfe jedoch pikiert. Denn bei der Stiftungsinitiative zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern handelt es sich um einen freiwilligen Zusammenschluss von deutschen Unternehmen.
„Es ist sehr kurzsichtig, gerade die anzuprangern und anzugreifen, die den überlebenden Zwangsarbeitern freiwillig helfen wollen“, sagte der Sprecher der Initiative, Wolfgang Gibowski. Die Verhandlungen mit den Opferverbänden und den Anwälten würden jedoch weitergeführt. BD
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