: Post-Schiffe auf hoher See
■ Ozeanischer Emocore: „June of 44“ und „Jullander“ im Knust
Vor geraumer Zeit hätte man das Treiben dieser beiden Bands noch freimütig Postrock genannt. Die ehemals euphorische Vokabel hat indes durch inhaltliche Unschärfe an Wert verloren, und man darf June of 44 und Jullander heute wohl getrost durchwinken, ohne gleich neue Zeitalter einzuläuten. Das etwas abgenutzte Bild des „Ocean of Sound“, hier sei es für den Moment aufgegriffen. So waren die früheren Alben, auf denen die Chicagoer June of 44 gewissermaßen ihren Teil jenes Ozeans ausloteten, mit explizit maritimen Insignien durchsetzt: Segelschiffe und Windrosen zierten Cover und sonstiges Artwork, historische Matrosentätowierungen wurden als Briefmarken beigelegt, man beschäftigte sich mit Ozeanriesen oder der Anatomie von Haifischen.
In jüngster Zeit wendet sich die Band zwar von solcher Ikonografie ab, bleibt aber ihrem tollen verklausulierten, ozeanisch rollenden Emocore verbunden. Slint in den Segeln, treiben in minutenlangen Intros die Parts aufeinander zu, umranken sich Gitarrenlinien über warm grollenden Bässen und dem selbstverliebt-üppigen Schlagzeugspiel, suchen zwei brüchige Stimmen nach Halt. Und zunehmend bereichern Dub- und Jazz-Ornamente das bewusst lü-ckenhafte Rockvokabular.
Stimmigerweise gelangten noch die längst nicht mehr nur lokal bewährten Slint-Adepten Jullander kurzfristig ins Programm des heutigen Abends. Beide Bands absolvierten bereits eine gemeinsame Deutschlandtournee, auf der man sich nicht nur musikalisch verstand. Jullander sind ebenfalls an einem Vorantreiben ihres funkelnd krachigen (Post-?)-Emocores gelegen. Ihre kürzlich erschienene Split-7-Inch mit den neuen Lieblingen des Too Pure-Labels, Billy Mahonie, unterstrich noch einmal die Qualitäten der Band. Und wie bei June of 44 gilt, dass die Intensität live gar noch steigerbar ist.Alexander Diehl
heute, 21 Uhr, Knust
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