: Verkehrte Welt nach der Wahl
■ Peter Radunski (CDU) will kein Senator mehr sein. Andreas Matthae (SPD) will in die Opposition. Wolfgang Wieland (Grüne) hält das für Quatsch. Nur Carola Freundl (PDS) spricht von Erfolg
taz: Die CDU hat nicht so gut abgeschnitten, wie es viele erwartet hatten. Woran lag das?
Peter Radunski (Kultursenator, CDU): Ich glaube nicht, dass wir unser Wahlziel in irgendeiner Weise nicht erreicht haben. Es gehörte zur Gegenkampagne, dass man uns einreden wollte, wir hätten die Chance zur absoluten Mehrheit.
Die SPD hingegen hat ein etwas besseres Ergebnis als vielfach vorausgesagt.
Die SPD hat nicht mehr auf Sieg gesetzt, sondern auf das Gefühl: Die CDU könnte zu stark werden. Das war klug.
Macht das die Senatsbildung einfacher?
Ich bin zufrieden, dass die SPD ein Ergebnis hat, über das sie in dieser Situation erleichtert sein kann. Wahlergebnisse sind Führungsaufträge. Aus diesem Ergebnis kann man nur die Fortsetzung der Großen Koalition herauslesen.
Werden die Senatorenposten wieder gleichmäßig aufgeteilt?
Es wäre töricht, sich nur auf die Zahl zu konzentrieren. Darüber kann man nur in einem Tableau aller wichtigen Positionen sprechen.
Könnte die CDU einen Senator Walter Momper akzeptieren?
Jeder Koalitionspartner muss seine Personalentscheidungen selbst treffen.
Welche Ressorts wird die CDU in jedem Fall beanspruchen?
Ganz sicher ist bisher nur, dass wir Inneres haben wollen.
Sie selbst treten für den Senat nicht mehr an. Warum?
Ich habe sehr persönliche Gründe. Ich muss etwas kürzer treten.
Sie werden also keine neue Aufgabe übernehmen?
Ich habe gegenwärtig keine beruflichen Pläne, die mich zu diesem Schritt veranlassen. Interview: Ralph Bollmann
taz: Sollte die SPD nun in die Opposition gehen?
Andreas Matthae (SPD-Vorsitzender in Kreuzberg): Das ist eine Entscheidung, die ich jetzt nicht treffen kann. Erst einmal haben wir keinen Regierungsauftrag erhalten. Ich bin skeptisch, ob eine Große Koalition sinnvoll ist für die Zukunft der SPD.
Also raus aus der Regierung?
Es sind bestimmte Bedingungen zu erfüllen. Aus der Erfahrung der letzten Koalition muss man schon sagen, dass sich die SPD nicht profilieren konnte.
Die Jusos fordern ja schon den Gang in die Opposition.
Meine Tendenz ist: Keine Neuauflage der Großen Koalition.
War Momper die richtige Wahl als Spitzenkandidat?
Ja, natürlich war er die richtige Wahl. Eine einzelne Person entscheidet ein Wahlergebnis vielleicht um zwei, drei Prozent. Aber damit wären wir auch nicht stärkste Partei geworden.
Ihr Fraktionschef Klaus Böger wollte 30 Prozent – davon sind Sie weit entfernt.
Natürlich: Es ist eine schwere Niederlage. Wir wollten stärkste Partei werden und Rot-Grün. So kann es nicht weitergehen.
Müssen Sie Ihr Verhältnis zur PDS verändern?
Man muss debattieren, warum wir noch diese Teilung in den Köpfen haben in Ost und West. Wir haben ein Problem, die Menschen im Ostteil anzusprechen.
Was würde Willy Brandt nun sagen, der früher 60 Prozent für die SPD holte?
Ich glaube: „Ihr braucht eine Strategie. Nicht schnell eine Große Koalition machen.“ Das Ziel 2004 heißt: Diese Koalition, wenn sie kommt, abzulösen, stärkste Partei zu werden. Interview: Philipp Gessler
taz: Sind sie zufrieden?
Carola Freundl (PDS-Fraktionsvorsitzende): Wir sind sehr zufrieden. Die PDS hat in beiden Teilen der Stadt, Ost wie West, zugelegt, die CDU hat keine absolute Mehrheit bekommen und den Republikanern ist der Einzug in das Abgeordnetenhaus nicht gelungen. Das ist ein riesiger Erfolg.
Der Parteivorsitzende Lothar Bisky hat bereits von einem „besonders wichtigen Schritt für die PDS“ gesprochen. Welche besondere Bedeutung hat der Ausgang dieser Wahl für Sie?
Es ist uns gelungen, unser Ergebnis im Osten noch einmal zu erhöhen. Im Westen haben wir unsere Stimmen mehr als verdoppelt. Ich denke, dass vor allem unsere konstruktive Opposition im Abgeordnetenhaus fürAkzeptanz gesorgt hat.
Werden SPD und Grüne ihr Verhalten gegenüber der PDS jetzt ändern?
Die Entscheidung der Wähler spricht auf jeden Fall dafür. Das Ergebnis zeigt, dass viele Wähler ein Ende der PDS-Ausgrenzung wollen.
Die Grünen haben rund drei Prozent der Wählerstimmen verloren, die PDS in etwa die gleiche Zahl hinzugewonnen. Sterben der PDS mit zunehmenden Erfolg die Koalitionspartner weg?
Überraschenderweise haben die Grünen vor allem Wähler an die SPD verloren. Aber das Problem existiert: Wir haben an einer schwachen SPD kein Interesse. Die Sozialdemokraten müssen ihre Politik ändern, statt als Juniorpartner in der Großen Koalition unterzugehen. Und dazu gehört eine Debatte um die Zusammenarbeit mit der PDS. Ohne uns wird eine politische Alternative in dieser Stadt nicht zu haben sein.
Interview: A. Spannbauer
taz: Zehn Prozent für die Grünen, das ist ja wohl ein Desaster.
Wolfgang Wieland (Innenpolitischer Sprecher der Grünen): Das ist wirklich hart für uns. Die Serie der grünen Niederlagen ist noch nicht beendet. Das Wahlergebnis ist eine eindeutige Antwort auf die Leistung der Bundesregierung, auf unsere ineffektiven Parteistrukturen auf Bundesebene. Es ist darüber nachzudenken, ob wir uns einen Umweltminister leisten können, der in den Sympathiewerten hinter Gysi rangiert.
Warum haben sich die WählerInnen gegen die Grünen gewendet??
Berliner Themen spielten im Wahlkampf für die BürgerInnen keine Rolle. Wir wurden auf der Straße immer nur auf die rot-grüne Bundeskoalition angesprochen, auf die Ökosteuer, die Rentenkürzungen. Uns wurde vorgeworfen, dass wir unsere sozialen Wurzeln vergessen haben, dass die Grünen nicht mehr für die Schwachen zuständig seien.
Werden die Berliner Grünen den Druck jetzt auf die Bundespartei erhöhen?
Die Bundespartei braucht radikale Einschnitte und wir müssen Tacheles reden. Wir haben das bisher nicht öffentlich getan. Das Sparpaket muss beispielsweise austariert werden. Wenn es die Bundeskoalition nicht gäbe, hätten wir in Berlin 20 Prozent bekommen.
Wie soll es weitergehen?
Dass die SPD in die Opposition geht, wie manche fordern, halte ich für Quatsch. Es wird bei der Großen Koalition bleiben. Wir haben ausgezeichnete Oppositionsarbeit geleistet und das werden wir auch zukünftig machen. An den Berliner Grünen liegt es nicht, dass wir so viel verloren haben. Interview: Julia Naumann
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