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■ KulturkontaktCannibal Talk

Im Jahre 1779, bei seiner dritten Weltreise, wird der britische Forschungsreisende Captain James Cook von den Eingeborenen Hawaiis getötet. Captain King übernimmt das Kommando. Mit Hilfe von massivem militärischem Druck erzwingt er die Rückgabe der sterblichen Überreste Cooks, um ihm ein vernünftiges Seemannsbegräbnis zu ermöglichen.

Die Eingeborenen schicken einen Priester, der mit einem kleinen Bündel auf dem britischen Schiff erscheint. Es wiegt gerade mal fünf Kilo. „Wo ist der Rest?“, will der entsetzte King wissen. „Habt ihr ihn gegessen?“ „Nein“, antwortet der Priester, seinerseits bestürzt. „Ist das bei euch etwa Sitte?“

Mit dieser Anekdote beginnt der Anthropologe Gananath Obeyesekere seinen Vortrag im Haus der Kulturen der Welt in Berlin über „kulturelle Missverständnisse“. Warum finden sich in Berichten aus fernen Ländern immer wieder Fälle von Kannibalismus?

Der Verzehr von Menschenfleisch ist nicht möglich, ohne den betreffenden Menschen vorher zu zerstückeln. In Schilderungen von kannibalistischen Gelagen der Südseeinsulaner, gerade in der Frühen Neuzeit, ist immer wieder die Rede davon, dass die Menschen als erstes gevierteilt werden.

Die Vierteilung war andererseits in Europa die gängige Bestrafung für Hochverräter. Einen Menschen auseinanderzunehmen, ist die ultimative Form der Erniedrigung. Am Tag der Auferstehung ist der Körper nicht mehr vollständig, das ewige Leben ist ihm verwehrt.

Kein Wunder also, dass das Fremde, das Angst macht, schnell mit dem Schlimmsten gleichgesetzt wird.

Die Eingeborenen, mit dem Vorwurf des Kannibalismus konfrontiert, reagieren ihrerseits geschockt. Nach so etwas kann doch nur fragen, wer es selbst praktiziert. Zum Teil bedienen sich die Eingeborenen aber auch der Grauen erregenden Vorstellung. Laut Obeyesekere schafften es die Maoris Neuseelands ein Viertel Jahrhundert, sich weiße Siedler vom Leibe zu halten mit der Behauptung: „Wenn ihr zu uns kommt, dann fressen wir euch.“

„Cannibal Talk“ nennt der Anthropologe dieses Phänomen, kannibalisches Gerede. Es ist völlig unwichtig, ob es Formen des rituellen Verspeisens von Menschenfleisch tatsächlich gibt oder gegeben hat. Beim „Cannibal Talk“ handelt es sich um die Fortpflanzung eines Stereotyps, das aus dem Fehlen einer gemeinsamen Sprache entsteht. Verständigung ist nicht möglich, stattdessen wird der Andere grundsätzlich als Übeltäter angesehen.

Martin Hager ‚/B‘ Gananath Obeyesekere, geboren auf Sri Lanka, lehrt Anthropologie an der Princeton University in den USA. Der Vortrag fand in der Reihe „Netzwerke der Moderne“ statt. Bei der nächsten Veranstaltung am 11. November sprechen Arundhati Roy und Wolfgang Sachs „Vom Ende der Illusion. Wege der verordneten Modernisierung“.

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