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Der Deutsche wird ruhig, wenn er Gegenmacht spürt“

■ Nach dem 0:0 gegen den DFB verteilt die türkische Nationalmannschaft offiziell zwar Nettigkeiten, ist aber insgeheim doch arg enttäuscht, ein Heimspiel nicht gewonnen zu haben

München (taz) – Noch drei Stunden waren es bis zum Anpfiff. Eine einsame deutsche Fangruppe zog durch ein Meer türkischer Fahnen. Keine Rempeleien. Es wurde gelacht. Auch als einer „Deutschland“ rief. Noch lustiger wurde es, als die mit den schwarz-rot-goldenen Schals skandierten: „Auswärtssieg, Auswärtssieg.“ Die Gegner umarmten sie trotzdem. Dann verschwanden die DFB-Anhänger. Still. Boris Leyck wusste sofort, warum. Der junge Mann vom Deutschen Fußball-Bund, zuständig für die Feierlichkeiten zum Hundertjährigen seines Arbeitgebers, analysierte: „Der Deutsche an sich wird ja ruhig, wenn er eine Gegenmacht spürt.“

Mehr als 30.000 türkische Fans kamen am Samstag ins Münchner Olympiastadion zum EM-Qualifikationsspiel der Deutschen gegen die Türkei. „Heute liegt der Bosporus in Schwabing“, sagte Osman Gökcöl. Der Fenerbahce-Fan kam aus Rüsselsheim an die Isar. Zeitungen übersetzen? Für die Presse? Kein Problem. Das mache er gern. Zumal der Eintritt in den Pressebereich lockte. Die liberale Hürriyet titelte „Geschichte schreiben“ und sprach vom wichtigsten Länderspiel, das die „Milli Takimi“, die türkische Nationalmannschaft also, je zu spielen hatte. Das glaubte auch das Massenblatt Sabah. „Kalplerimiz Sinizle“ überschrieb es fett: „Unsere Herzen sind bei euch.“

Doch nach dem 0:0 verpackte der türkische Trainer Mustafa Denizli seine Enttäuschung in Nettigkeiten. Mal abgesehen vom Spielausgang sei es immer ein ehrenwertes Gefühl, gegen die Deutschen zu spielen. „Wir sind doch Brüderstaaten“, sagte er. Dass es nicht geklappt habe mit der vorzeitigen Qualifikation sei gar nicht schlimm, „auch wenn ich es noch nie so gewollt habe wie jetzt.“ Man werde es schon zur Europameistertschaft im kommenen Jahr schaffen. Dort hoffe man dann auf Revanche.

Das Warten hätte man sich sparen können. Seine Mannschaft hatte das DFB-Team in der ersten Halbzeit an die Wand gespielt. Mit schnellem Kurzpassspiel demontierte der türkische Sturm die deutsche Abwehr. Fünf Großchancen aber verzockten die türkischen Stürmer leichtfertig. Sergen Yalcin, Tayfun Korkut und Hakan Sükür scheiterten entweder an Torhüter Oliver Kahn oder schossen sich aufs Außennetz ein. Einprägsamste Szene: Der grandiose Sergen legt sich den Ball fünf Meter vor und überspurtet anschließend Lothar Matthäus, als wäre er Michael Johnson und der dienstälteste Fußballer deutscher Nation Marc Blume.

Was Trainer und Mannschaft nach dem Abpfiff interessierte, aber war ein Standbild. Abseits? Gleiche Höhe? Hakan (56.) lief frei auf Kahn zu. Schiedsrichter Pierluigi Collina hatte ein Einsehen mit den Deutschen und pfiff. Das tat der Italiener auch endlich in der 92. Minute. 0:0 im „Endspiel“ der Gruppe 3. Deutschland qualifiziert. Die Türkei im Lostopf für die Relegation der Gruppenzweiten. Am kommenden Mittwoch wird der Gegner ausgelost.

Dann verschwand Denizli. Mustafa Dogan übernahm seinen Job in der Mixed Zone, dort, wo die Kicker an den Medienleuten vorbeigetrieben werden. Dogan spielt zwar für die Deutschen, sprechen sollte er aber über seine Kumpels aus Eurasien. „Die Mannschaft ist nicht enttäuscht“, berichtete er von seiner Visite in der türkischen Kabine. „Warum auch? Sie haben immerhin gegen eine der besten Mannschaften von der ganzen Welt gespielt.“ Viel Glück, isi sanslar, sagte er im Vorbeigehen zu Tayfun, der einst bei den Stuttgarter Kickers spielte. Der parlierte gerade in bestem Schwäbisch über die tolle Moral seiner Mannschaft. Tesekur ederim, danke, sagte Tayfun brav. Dann aber zeigte er doch noch Zeichen von Enttäuschung: „Für ein Heimspiel ist ein Remis einfach zu schwach.“ Markus Völker

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