Berliner Ökonomie: Das Netz fegt
■ Eine Studie zur Ausbeutung: Von den Hierarchien polnischer Putzfrauen
Ich habe Barbara in Berlin besucht. Sie arbeitet wieder schwarz als Haushälterin und Krankenpflegerin, weil sie sich an die alte Dame gewöhnt hat. Die Dame ist reich und hat Barbara 100.000 Mark als Erbe versprochen. Die drei Kinder Barbaras leben in Polen. Eine Tochter hat ein uneheliches Kind. Barbara sorgt für beide. Ein Sohn hat sich als Schwarzhändler in Polen etabliert. Ihm geht es gut, obwohl er drogenabhängig ist. Der jüngere Sohn lebt bei seinem Vater, er stottert. Barbara sorgt dafür, dass aus dem Achtzehnjährigen etwas wird. Sie zahlt ihrem Ex-Mann etwa 500 Mark monatlich, damit der Sohn auf eine Privatschule gehen kann. Sie lebt weiter mit dem Deutschen zusammen und ist sehr glücklich. Er sei ein guter Mensch und ein noch besserer Liebhaber, meint sie. „Er schätzt mich sehr. In Polen muss ich ständig schuften. Hier bin ich eine Frau.“
Es zeigte sich weiter, dass jedes Kind eine Villa oder eine Pension in einem Kurort besitzt. Früher war es in Polen verboten, dass eine Person mehr als eine Wohnung besitzen konnte, also hatte Barbara die Immobilien auf den Namen der Kinder gekauft. Barbara ist Katholikin und glaubt, dass sie der „liebe Gott“ nach Berlin geschickt hat. Sie geht jede Woche in die Kirche ... „Die Kirche ist ein Stück von Polen. Und die Geschäfte, die man da machen kann, sind einfach toll.“
Krystyna und Barbara gehören zu der Gruppe, die ganz oben in der Putzfrauenhierarchie steht. Sie haben mehr als fünf Jahre geputzt. Da sie nicht die Möglichkeit hatten, sich legal in Deutschland zu etablieren, fanden sie es ganz natürlich, dass sie innerhalb der Putzfrauenwelt aufgestiegen sind. Jede hat jetzt ihr eigenes Netz: eine kleine Gruppe von in der Hierarchie niedriger stehenden Polinnen. In Westberlin bestand eine solche Gruppe üblicherweise aus vier bis acht Frauen, die von einer etablierten Putzfrau nach Berlin gebracht wurden. Oft hatte diese Putzfrau bereits die deutsche Staatsbürgerschaft über eine Ehe erlangt, manchmal war sie nur eine Konkubine. Es musste aber hinter jeder Struktur ein deutscher Bürger stehen, der den Frauen eine feste Wohnung angeboten hat. Eine Frau, der keine Wohnung mit Telefon zur Verfügung stand, musste bei der Arbeitssuche mit Ablehnung rechnen ...
Die Miete in Berlin für Schwarzwohnen ist seit vielen Jahren stabil geblieben: 300 Mark kalt pro Person, unabhängig von der Anzahl der Personen in einem Zimmer. Um die Mietkosten zu verringern, lassen die Putzfrauen Bekannte aus Polen, besonders Schmuggler, übernachten. Für die Übernachtung auf dem Fußboden nimmt man 10 Mark pro Nacht. Warenaufbewahrung kostet bis zu 100 Mark pro Woche, wegen des höheren Risikos ... Jede Frau, die auf eigene Faust Arbeit und Wohnung suchte, musste mit sexueller Ausnutzung rechnen. Besonders aufdringlich waren die deutschstämmigen Polen, die selbst für die Vermittlung von Arbeit und Wohnung Sex als Gegenleistung verlangten. Mir sind mehrere Fälle bekannt, wo einer Frau angeboten wurde, gegen Sexualverkehr und Haushaltsführung ein Zimmer mieten zu können. Auf dem zweiten Rang dieser speziellen Hierarchie standen Türken. Um sich Stellen als Putzfrauen in türkischen Imbissen zu sichern, mussten mehrere Frauen mit allen Männern der Familie ins Bett gehen.
Obwohl ein Netzwerk kostspielig war und keine bequemen Unterkünfte bot, ließ sich auf diese Art sichere Arbeit finden. Die Einwerbung in ein Netz ging nur über Bekanntschaften und Familien in Polen. Als Außenstehende hatte man in Polen kaum eine Chance, in Berlin überhaupt keine. In einem Experiment habe ich versucht, eine Frau in ein Netz zu bringen. Obwohl mir viele Netzbesitzerinnen bekannt waren, erklärte sich keine bereit, die neue Frau aufzunehmen. Später, als ich die Putzfrauen in Polen besuchte, fand ich heraus, dass ein Grund dafür in einer Art „Moralökonomie“ liegt. Die Aufnahme in ein Netz in Berlin galt in Polen als ein großes Privileg, die im Land verbliebene Familie musste im Gegenzug eine Gefälligkeit erweisen, indem sie etwa Leistungen für die Oberputzfrau oder deren Familie erbrachte ...
Manche dieser Unterputzfrauen sind nach einem Jahr zurückgekehrt. Ihr Verdienst wurde normalerweise in den Erwerb einer Eigentumswohnung investiert. An zweiter Stelle stand ein (gebrauchtes) westliches Auto. Es gab aber viele, die sich nach einem Jahr (wenn sie Deutsch beherrschten, konnte dies schon nach 3 Monaten vorkommen) von der Oberputzfrau lösten. Sie entwickelten eigene Kontakte zu Arbeitgebern und zogen in eine Wohnung, die die deutsche Familie vermittelte. Jede dieser Frauen war die potenzielle Gründerin eines neuen Netzes. Auf Grund des Konkurrenzverhaltens im „Kampf um gute Arbeit“ befehdeten sich die Netze gegenseitig, besonders die Oberputzfrauen und die weggelaufenen Gründerinnen neuer Netze.
Der entscheidende Kampf spielte sich aber in Polen selbst ab und führte zu Familienspaltungen oder zu regelrechten Dorffehden. Selbst im Schmugglerzug saßen die ehemaligen „Arbeitgeberinnen“ und die „entlaufenen“ Putzfrauen nie im selben Waggon. Malgorzata Irek ‚/B‘Auszug aus: Malgorzata Irek: „Der Schmugglerzug Warschau – Berlin – Warschau. Materialien einer Feldforschung“. Verlag Das Arabische Buch. Berlin 1998. 24,80 DM. Die Autorin lebt und lehrt in Swiebodzin und Oxford Ethnologie und Soziologie. Am 14. Oktober wird Irek zur Eröffnung der „1. Messe der Geldbeschaffungsmaßnahmen“ im Berliner Pfefferberg um 20 Uhr einen Vortrag zum Thema halten.
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