: Freihandel ja, aber bitte nicht hier
Unbeschränkte Ausfuhr, Schranken beim Import: Mit dieser Position geht die Europäische Union in die Verhandlung der Welthandelsorganisation ■ Aus Brüssel Daniela Weingärtner
Die Europäische Union (EU) rüstet sich derzeit für die nächste Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation WTO, die Ende November im US-amerikanischen Seattle beginnt. Ende vergangener Woche verhandelte man in Brüssel über das gemeinsame EU-Mandat. Allen Beteiligten war klar: Gelingt es in Seattle nicht, mit einer Stimme zu sprechen, werden sich die europäischen Interessen im Welthandel nicht durchsetzen lassen. Die Stellungnahmen von Kommission und Ministerrat zum Thema WTO sind allerdings alles andere als eindeutig.
Zwar hat die EU als größter Exporteur im Welthandel das größte Interesse an einer neuen Freihandelsrunde. Sie ist selbst aus einer Zollunion entstanden und bekennt sich zur Handelsliberalisierung. Theoretisch. Praktisch aber gibt es Interessengegensätze zwischen den Mitgliedstaaten, die einer einheitlichen EU-Position im Weg stehen. Zwar wird der neue Außenhandelskommissar Pascal Lamy nicht müde, sich zur Liberalisierung zu bekennen. Vor allem Frankreich, aber auch Spanien und Italien verteidigen jedoch die bestehenden Exportsubventionen im Agrarbereich und kämpfen für einen steigenden Marktanteil der eigenen Agrarprodukte.
Die kleinen Länder im Norden haben dagegen ein Interesse an offenen Märkten. Die deutsche Regierung steht dazwischen. Sie sieht sich zwar innenpolitisch einer streitbaren Agrarlobby gegenüber, muss aber an die weitaus wichtigere Industrieproduktion denken und deshalb an offenen Märkten interessiert sein.
Entsprechend widersprüchlich hat die Santer-Kommission im Juli diesen Jahres ihre Stellungnahme zur nächsten WTO-Runde formuliert: Die Weltwirtschaft befinde sich in einer ähnlichen Situation wie bei Beginn der vergangenen, der so genannten Uruguay-Runde vor 13 Jahren. Auch damals habe nachlassendes Wachstum die Diskussion über neue Märkte und Handelsanreize in Gang gebracht. Schon im nächsten Abschnitt ihrer Empfehlung schiebt die Kommission aber Werte nach, die dem freiem Welthandel nicht geopfert werden sollen: Vollbeschäftigung, gerechte Vermögensverteilung, Umweltschutz, Gesundheits- und Verbraucherschutz sowie kulturelle Vielfalt müssten gegen Handelsliberalisierung in die Waagschale geworfen werden, fordert das Papier. Romano Prodi, dessen neue Mannschaft sich derzeit darauf konzentriert, das Vertrauen der Bürger in die europäischen Institutionen wiederherzustellen, betont diese Ziele noch stärker als sein Vorgänger Jacques Santer.
In einer Rede vor dem Europaparlament vergangene Woche, in der es um Lebensmittelsicherheit ging, sagte Prodi: „In welche Handelsverhandlungen die EU auch immer eintritt – ich möchte betonen, dass die Gesundheit der Verbraucher für uns immer an oberster Stelle stehen wird.“ Aus WTO-Perspektive ist solche Fürsorge schierer Protektionismus – ein Vorwand, um unliebsame Konkurrenz vom Markt fernzuhalten. Auch kann Prodis Zusage für die EU teuer werden. Weil hormonbehandeltes Fleisch aus den USA an den Unionsgrenzen zurückgewiesen wird, ohne dass Gesundheitsgefahren wissenschaftlich nachgewiesen sind, hat die WTO Strafzölle gegen die EU verhängt. Zukünftige Konflikte über genveränderte Organismen – die USA sitzen derzeit auf einer unverkäuflichen, genveränderten Maisernte – sind vorprogrammiert.
Im Verlauf der nächsten WTO-Verhandlungsrunde, so hofft die Union, werden Genehmigungs- und Kennzeichnungsverfahren vorgeschrieben, die den Ängsten der europäischen Verbraucher Rechnung tragen. Im Gegenzug drängen USA und Entwicklungsländer darauf, dass die europäischen Agrarsubventionen abgebaut werden. Auch darin liegt Sprengstoff, der für mehrere Jahre ausreicht.
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