Finnegans Erwachen

Terre Thaemlitz und andere Sampling-Künstler bastelten im Podewil am Soundtrack zur Gender-Debatte  ■   Von Jörg Sundermeier

Der Saal knisterte förmlich von Kultur. Das Publikum redete wenig und bog nur seine Ohrmuscheln dem Klang entgegen. Satie hatte immer gefordert, dass man sich zu seiner Musik bewegen solle, aber an diesem Abend, im Podewil, war Musik nur schwere Kunst. Als erster performte Erik M aus Marseille hinter den Samplern – eine sehr exzessive Show, bei der man sich nicht sicher sein konnte, wer hier wen dreht: die Rädchen den Mann oder doch der Mann die Rädchen. Die Musik war dementsprechend hektisch, energiegeladen und nervend.

Nach diesem elanistischen Geruder gab Sachiko M aus Tokio ihre sehr hermetische Vorstellung. Wie klingt es, wenn Stoff reißt? Wo kommt eine Soundmaschine ans Ende ihrer Leistungsfähigkeit? Wie viel fiepen macht ein Auditorium mit? Während sie diese Fragen gleichzeitig stellte und beantwortete, saß Sachiko M auf einem Hocker und schlenkerte mit dem Fuß. Das Publikum blieb starr und gebannt, und in der Pause konnte es sich dann an einer Installation erfrischen, in der Steve Roden sich rücksichtslos zu dem bekannte, was ihm von Joyce' „Finnegans Wake“ im Gedächtnis geblieben war beziehungsweise was er beim Hören einer Vorlesung einer Seite gezeichnet hat.

Nach der Pause versammelten sich die vereinzelten Aha-Erlebnisse dann endlich zu einem gesamten Kunstwerk. Terre Thaemlitz, ein Transsexueller aus Oakland, will seine Klänge politisch verstanden wissen. In seinen Samples, die er zu weitläufigen Bildern auslaufen lässt und dann plötzlich zu ruppigen Statements verdichtet, hat er zum Beispiel Fragmente aus Rosa-von-Praunheim-Filmen eingebaut. Dass Gender zwischen den Ohren passiere und nicht zwischen den Beinen, war so zwischen den Klängen zu vernehmen – oder auch lauthalsige Proteste gegen Transsexuelle.

In seiner Arbeit wendet Thaemlitz eine zum Transgenderism analoge Methode an: Sehr verschieden konnotierte Sounds werden miteinander zu einem Ganzen verflochten. Musikalisch entsteht eine kreative Mehrdeutigkeit, so wie auch die Transgender-Bewegung eine Mehrdeutigkeit im Geschlechterverhältnis anstrebt.

Egal wie man es bewertet, dass die Interpretationshegemonie über eine Musik so eindeutig vom Künstler für sich beansprucht wird – im Podewil waren Thaemlitz' einleitende Worte bitter nötig. Das parallel zu Thaemlitz' Arbeit gezeigte Video von Akiko Hada kaprizierte sich nämlich darauf, die Transgender-Debatte allein auf Tunten zu beziehen und alle anderen alternativen Spielarten von Geschlechtlichkeit schlicht zu ignorieren. So sah man, dass Männer, die sich schminken, zwischen Flitter und Glitter sind. Das ist sehr schön, doch die Pracht und Overdressedheit, mit der im Video die Kleidchenträger dargebracht wurden, bestätigten dann eigentlich nur Rollenklischees – dabei ist es doch gerade das Anliegen der Transgenderdebatte, sie aufzubrechen.

Und auch die Naturaufnahmen, die auf Terre Thaemlitz' Wunsch zwischen diese Bilder geschnitten wurden, waren in diesem Kontext kontraproduktiv: Sie deckten nicht die Künstlichkeit von Geschlechterrollen auf, sondern verwiesen stattdessen auf das Widernatürliche von Schminke.

Thaemlitz, selbst geschminkt und zugleich sehr darauf bedacht, sich nicht „eindeutig“ zu präsentieren, wurde damit in den engen Travestierahmen hineingezwängt, und seine Musik wurde auf einem Soundtrack für eine Variante des „Käfigs voller Narren“ reduziert.

Das Publikum, das eben noch so mucksmäuschenstill war, wurde entsprechend gelöster, knisterte ein bisschen lauter und lachte an einigen Stellen sogar. Bei Tunten hört die Kunst scheinbar auf. Terre Thaemlitz spielt in der nächsten Woche noch mal in der Volksbühne. Vielleicht in einem passenderen Rahmen.