Die Grenzen der Eventkultur

Der Soziologe Gerhard Schulze macht sich auf die Suche nach dem Glück in der Postmoderne und rennt dabei auch einige offene Türen ein  ■ Von Georg
Seeßlen

Mit dem Glück ist es so eine Sache. Meist ist es abwesend – oder aber ein euphorischer Rauschzustand, den wir um nichts in der Welt in einen theoretischen Zusammenhang stellen wollen. Daher wird bei uns eine mehr oder weniger feinsinnige Umkehrung unter dem Titel „Anleitung zum Unglücklichsein“ zum Bestseller, während eine geradlinige „Philosophie des Glücks“ nur noch antiquarisch zu erwerben ist. Unsere „Eventkultur“ – eine Kultur der „inszenierten Ereignisse“, die nach medialer Verbreitung verlangen – ist vermutlich der Versuch, das Euphorische zu simulieren und zugleich in einer kollektiven Anstrengung das Unglück auszuschließen.

Gerhard Schulze, bekannt geworden mit „Die Erlebnisgesellschaft“, unternimmt in seinem eher essayistischen als forschenden Buch „Streifzüge durch diese Eventkultur“. Es ist hier von Kulissen die Rede, von künstlichen Aufbauten also, die den Blick leiten, verführen, täuschen; welches Stück gegeben wird, erfahren wir dagegen nicht.

In der Einleitung unterscheidet der Autor zwischen den lügnerischen und den spielerischen Kulissen und warnt uns zugleich: Es sind nur Nuancen, Blickwechsel, die das eine vom anderen unterscheiden, wie im historischen Fall des Fürsten Potemkin. Wusste die Zarin, dass die blühenden Dörfer, die er ihr vorführte, nur Kulissen waren? Dann eben wären es keine lügnerischen, sondern spielerische Kulissen gewesen. Die Frage wird also sein, was wir von den Kulissen unserer „Eventkultur“ wissen, um zu entscheiden, ob wir Objekte des Betruges oder Partner eines Spiels sind.

Recht oberflächlich könnten wir das erste Ergebnis dieser Streifzüge so deuten, dass wir im Streben nach dem Glück, zumindest was die Herstellung der Kulissen anbelangt, eine Freiheit gewonnen haben, mit der wir so wenig anzufangen wissen, dass nur neue Zwänge entstehen können. Aus der sexuellen Liberalisierung ist ein Zwang zur erotischen Selbstoffenbarung geworden, aus dem „befreienden Lachen“ wurde der ritualisierte Lachzwang der „Comedy“. Wer wollte dem widersprechen?

In der Eventkultur, so Schulze, sind wir zerfallen in den „Selbstmanager“ und in das „erlebende Selbst“, und dieser so gespaltene Mensch ist Konsument einer Medienproduktion, die unter dem Diktat der Steigerung steht: Die „Quotengeilheit“ ist demnach vor allem Ausdruck einer Situation, in der immer mehr Anbieter um eine immer knappere Ressource, unsere Aufmerksamkeit, kämpfen.

Die Geschichte der Steigerungen indes neigt sich dem Ende zu, unser Fernsehen, zum Beispiel, kann seinen „Möglichkeitsraum“ nur noch füllen, zu steigern ist da nichts mehr. Um es mit Schulzes Worten zu sagen: Der Unterschied zwischen dem Fernsehen, wie es geworden ist, und wie es nun ist, ist der zwischen Hausbau und Wohnen. Die Steigerungslogik kommt also an ihre natürliche Grenze, und was dann kommt, ist nach Schulze: nichts. So wird als nächste Runde eine Konkurrenz nicht mehr der Vermittlungsformen, sondern der Inhalte eingeläutet. Und möglicherweise müssen dann auch wir Konsumenten der Eventkultur nicht nur in unserer Breite, sondern auch in unserer Aufmerksamkeitstiefe vermessen werden, denn aus der Produktion der medialen Faszination wird immer schneller Langeweile, und Einschalten heißt immer weniger auch Zuschauen.

Das Stück, das vor diesen Kulissen gegeben wird, kann eigentlich nichts anderes sein als die (End-) Geschichte des freien Marktes. Oder befinden wir uns da, schon wieder, im Bereich der Tautologien? Wie auch immer: Schulzes Streifzüge sind sympathisch und anregend, selbst dort, wo der Autor ziemlich offene Türen eintritt. Denn längst hat sich die einst von Umberto Eco analysierte Dualität von „Apokalyptikern und Angepassten“ gegenüber der Medien- und Event-Kultur aufgelöst, und die von Schulze beschriebenen „Mahner“ in den Feuilletons sind nostalgische Minderheit.

Ein neuer Typ des medienkritischen Flaneurs ist entstanden, der Kritik und Affirmation wohl zu dosieren weiß in einer Geste der ironischen Teilhabe. Man kann nämlich einen Bundesliga-Kommentar von Gerd Rugenbauer einerseits als null und doof ansehen, andrerseits aber auch als Kunstwerk der Steigerungslogik.

Das Medium steigert sich dann selbst gewissermaßen aus dem heraus, was Schulze das „Drei-Sphären-Paradigma“ eines inszenierten Ereignisses bezeichnet, wo man zugleich angerührt ist (subjektive Wahrnehmung), Teil von vielen Angerührten oder, um beim Fußball zu bleiben, Heroisch-Gespannten (inter-subjektive Wahrnehmung) und schließlich Zeuge einer Aussage wird (objektive Wahrnehmung). Die vierte Sphäre freilich (die postmoderne) ist die Wahrnehmung des Vermittlers selbst, die Medienwahrnehmung, und in der entscheidet sich, zum Beispiel, ob der Vermittler meine anderen drei Wahrnehmungen beherrscht, oder im Gegenteil, darin als dummer August agiert.

Schulzes Streifzüge durch die Eventkultur enden übrigens weder in Apokalypse noch einer Utopie. Sondern im Bett. Also ziemlich tief in unserer Kulturgeschichte.

Gerhard Schulze: „Kulissen des Glücks, Streifzüge durch die Eventkultur“. Campus 1999. 112 Seiten. 29, 80 DM