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„Leben wie in der Steinzeit“

■ Der König, der in den Urwald floh

Er ist einer der mächtigsten traditionellen Könige im Osten des Kongo. Im Gespräch bleibt er zunächst ruhig, aber seine Augen sind unstet. Wenn er zu reden beginnt, sprudelt seine Geschichte aus ihm heraus. Seine Erfahrungen haben ihn traumatisiert.

Seinen Namen will der „Mwami“ nicht zitiert wissen. Er hat mit seinem Volk in allen Kriegen der letzten Jahre gelitten. Während der Rebellion Laurent Kabilas gegen Mobutu 1996/97 stand er auf der Seite Kabilas, weil die kongolesischen Tutsi in Kabilas Armee mit Stammesfeinden seines Volkes verfeindet waren. Als 1998 die Tutsi mit Kabila brachen und die neue Rebellenbewegung RCD gegen Kabila gründeten, fand sich der König zwischen den Fronten.

„Die RCD kam zu uns, und ich bin in eine andere Stadt gegangen. Die RCD hat nicht geplündert, nicht gemordet, und sie sagte, die traditionellen Führer dürfen bleiben, also kam ich zurück.

Die RCD hatte ein System: Sie kam in ein Dorf, blieb zwei Tage und marschierte weiter. Wenn sie weg war, kamen die Mayi-Mayi (bewaffnete Gegner der Rebellen innerhalb ihres Gebietes) aus dem Wald – dann hieß es Abrechnen.

Lwedja (Kabila-treuer General, heute Kabilas Armeechef) scharte die Mayi-Mayi um sich und auch die Interahmawe (ruandische Hutu-Miliz) mit ihrem 'Kommandanten Saddam‘. Wir waren ihre Geiseln. Lwedja sagte: Niemand darf diese Region verlassen.

Sie hatten Listen von Leuten und errichteten Straßensperren rund um die Dörfer. Wer versuchte zu fliehen, dem schnitten sie den Kopf ab. Sie kamen in die Dörfer und nahmen sich, was sie brauchten. Wer sich wehrte, den nannten sie einen Tutsi und töteten ihn. So habe ich vier Stammeschefs verloren. Einem hat man die Arme abgehackt, dann die Augen ausgestochen.

Die Leute flohen in den Wald. Ich auch. Von 20 Gemeinden blieben nur vier, sechzehn gingen in den Wald – insgesamt 300.000 Leute. Ich blieb fast acht Monate im Wald. Wir hatten keine Behausungen, wir bauten uns Unterstände. Es gab kein Salz, keine Seife, keine Medikamente, die Kinder bekamen Hungerbäuche. Wir lebten wie in der Steinzeit. Manche lebten ein ganzes Jahr so. Manche sind noch dort.

Wir kamen wieder heraus, als eine RCD-Truppe ankam. Die RCD schickte Boten in den Wald, um zu sagen, wir könnten wieder nach Hause. Ich schickte eine Frau. Dann gab es einen Mayi-Mayi-Angriff auf ein nahe gelegenes Dorf, sie kriegte Angst und machte kehrt. Die RCD insistierte und schickte einen Emissär in ein Dorf. Ich ging mit meinen Leuten hin.

Im Dorf war nichts mehr. Alle Tiere waren weg, die Häuser abgebrannt. Das war im Juli. Wir sind bis heute auf Hilfe angewiesen und bekommen keine. Die im Wald waren, haben alles verloren.“ D.J.

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