: Der lange Abschied des Wolfgang Gerhardt
Der Putsch blieb aus, der FDP-Chef amtiert weiter – vorerst. Seine Partei steht vor einem bitteren Richtungsstreit ■ Von Tina Stadlmayer
Berlin (taz) – Die Putschisten haben im entscheidenden Moment gekniffen. Statt der geplanten Palastrevolution gegen den FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt gab es am Montag nach der Berlin-Wahl jede Menge geheuchelter Loyalitätsbekundungen. „Ich habe mit klarem Willen und klarer Klarheit erklärt, dass ich Parteivorsitzender und Fraktionschef bleibe“, sagte Gerhardt in der ihm eigenen verquasten Sprache nach der Sitzung des FDP-Präsidiums. Keiner der elf Präsiden habe ihm den Rücktritt nahe gelegt.
War da was? Nach einer Niederlage bei der Berlin-Wahl werde Gerhardt seinen Hut nehmen müssen, hatten prominente Liberale wie der Vorsitzende der FDP-Fraktion in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, und der nordrhein-westfälische Parteichef Jürgen Möllemann gestreut. Gerhardt mangele es an Führungsqualitäten, er sei zu farblos und mit dem Amt des Vorsitzenden überfordert. Doch die Putschpläne wurden bekannt. Am Sonntagabend trat zwar die erwartete Wahlniederlage ein (kümmerliche 2,2 Prozent). Da hatte sich Gerhardt bereits Rückendeckung geholt.
Die Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel und Otto Graf Lambsdorff versicherten ihm, dass er den Job behalten dürfe. Am Montag gab sich plötzlich auch Generalsekretär Guido Westerwelle, der Gerhardt gerne beerbt hätte, wieder ganz loyal. Und der ehemalige rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, der ebenfalls als Nachfolger gehandelt worden war, tat erstaunt: Er könne einfach nicht verstehen, dass ihm immer wieder Ambitionen auf den Parteivorsitz nachgesagt würden, obwohl er doch das Gegenteil sage.
Den Sturz wollen Gerhardts Rivalen anderen überlassen
Beide, Westerwelle und Brüderle, scheuen vor dem Königsmord zurück. Sie würden Gerhardt nur zu gerne beerben, aber den Sturz des amtierenden Chefs müssten andere einfädeln. Der Streit um die Führungsspitze und um die künftige Richtung der Partei ist damit aber längst nicht ausgestanden.
Allen ist klar, dass die Partei nach der verheerenden Niederlagenserie bei den Landtagswahlen (wieder einmal) in einer existenzbedrohenden Krise steckt. Aber über die Gründe für die Wahlniederlagen und die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, gibt es in der Partei die unterschiedlichsten Ansichten. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum beklagte am Montag, dass die FDP den Blick auf die Wirtschafts- und Steuerpolitik verengt habe und andere wichtige Politikfelder wie Umweltfragen und Bürgerrechte vernachlässigt worden seien. Der von Westerwelle eingeschlagene neoliberale Kurs sei „ohne Erfolg geblieben“.
Die sozialpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Irmgard Schwaetzer, ist ganz seiner Meinung. Sie sagte der taz, vor allem im Osten Deutschlands sei die FDP als Partei der sozialen Kälte verschrien. Die FDP dürfe auf keinen Fall weiter den „Individualismus bis hin zur Auflösung jeglichen Sozialgefühls“ predigen. Irmgard Schwaetzer hält die „zwölf Thesen zu Grundsätzen der liberalen Sozialpolitik“ der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für völlig daneben.
Darin empfehlen die liberalen Vordenker der Partei einen „radikalliberalen Kurs“: Der Staat solle sich darauf beschränken, Menschen in Notlagen zu helfen, aber nicht „soziale Unterschiede egalisieren“. In der Praxis würde dies zum Beispiel das Abschaffen von Pflegeversicherung und Sozialwohnungen bedeuten. Guido Westerwelle denkt schon seit einiger Zeit in diese Richtung: „Die FDP muss das Tabu der Trittbrettfahrer und Sozialkriminalität aufbrechen.“
Doch mit solch starken Sprüchen hat sich Westerwelle in der Partei nicht nur Freunde gemacht. Geradezu euphorisch hatte er nach der Bundestagswahl den Abschied von der Macht begrüßt. Dies sei die Gelegenheit, in der Wirtschaftspolitik das liberale Profil zu schärfen. Doch inzwischen haben Teile der Grünen und der Schröder-SPD der FDP sämtliche wirtschaftsliberalen Thesen geklaut.
Parteienforscher Franz Walter rät Westerwelle & Co zum Draufsatteln. Rechtsliberaler Populismus bündele die Überlebenssorgen des Mittelstands und Arbeitsplatzängste der Angestellten. In den Niederlanden und in Österreich haben die Liberalen mit nationalistischen und ausländerfeindlichen Sprüchen die Wahlen gewonnen. Nein, sagt Irmgard Schwaetzer, selbst wenn damit Stimmen zu holen seien, mit einer Politik à la Jörg Haider wolle sie nichts zu tun haben.
Scheitert die FDP im nächsten Frühjahr bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, werden die Vertreter eines rechtspopulistischen Kurses möglicherweise Oberwasser bekommen. Wolfgang Gerhardt wird den Bettel dann endgültig hinschmeißen.
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