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Anweisung aus Ankara

Effekthascherei statt Handlung: Sinan Çetins Klamotte „Propaganda'' hat keine Botschaft außer: Ich bin ein cleveres Produkt. Die Brisanz ist nur Behauptung  ■   Von Daniel Bax

Werbung ist die moderne Form der Propaganda, die auch in der Türkei die staatliche Meinungslenkung längst in den Schatten stellt. Auf den Plakaten, die den neuen Film von Sinan Çetin ankündigen, prangt das Emblem eines türkischen Milchwarenkonzerns, der Jogurt und Schafskäse produziert. Das Sponsorenlogo passt gut. Denn auch Sinan Çetins Film ist ziemlicher Käse.

Dem hiesigen Publikum dürfte der Erfolgsregisseur aus Istanbul vor allem durch „Berlin in Berlin“ ein Begriff sein. Vor fünf Jahren kam der Film auch in die deutschen Kinos, eine grelle Groteske um einen Deutschen, der vor seinen türkischen Häschern, die ihn für den Mörder ihres Bruders halten, ausgerechnet in deren Wohnung flüchtet. Und weil ein uralter anatolischer Brauch, den sich der Regisseur wahrscheinlich beim Bier ausgedacht hat, besagt, dass Fremden in einer türkischen Wohnung kein Haar gekrümmt werden darf, können die beiden rachedurstigen Brüder dem Eindringling nicht ans Leder. Ja ja, die türkische Gastfreundschaft. Der durchaus originelle Rahmen hätte sicher zur beißenden Satire auf das deutsch-türkische Nichtverhältnis getaugt, doch diente er dem Regisseur lediglich als Vorwand für einige mehr oder weniger gelungene szenische Witze wie auch zur Denunziation seiner Figuren.

Auch in „Propaganda“ geht es wieder um eine Grenze, diesmal zwischen den Bewohnern eines Dorfes am Übergang zu Syrien. Eines Tages, im Jahre 1948, wird auf Anweisung aus Ankara die Staatsgrenze neu vermessen, und siehe da, sie läuft mitten durch den Handlungsort. Auf einmal leben die wichtigsten Dorfbewohner – der Arzt, die Lehrerin und die Dorfhure, das ist der bissigste Gag – im Ausland. Wie die getrennten Familien wieder zusammenfinden, darum windet sich der Plot.

Sinan Çetin beweist einmal mehr großes Geschick darin, eine brisante Problematik auf das Maß einer Klamotte zu reduzieren. Von Haus aus ist er Werbefilmer, und das merkt man „Propaganda“ an: Auf der Habenseite bedeutet das eine exzellente Kamera (von Rebekka Haas) und effektvolle Bilder. Negativ zu Buche schlägt dagegen, dass Çetin weder Spannung noch Pointen über einen längeren Zeitraum aufzubauen vermag. Für einen 30-Sekunden-Werbespot mag das reichen, für einen Spielfilm von 110 Minuten nicht. Das Drehbuch ist dürftig, die Handlung ohne dramatische Steigerung. Stattdessen reizt der Regisseur die gute Grundidee bis zum Happy End aus und reiht seine oft platten, zuweilen derben Pointen den Grenzzaun entlang wie auf eine Perlenschnur. So sieht man Schulunterricht, eine Beschneidungsfeier, ja sogar voreheliches Petting am Grenzzaun.

„Propaganda“ ist symptomatisch für die Kommerzialisierung des türkischen Kinos; ein sicherer Kassenschlager dank seines cleveren Castings. Die Komiker Kemal Sunal und Metin Akpinar sind Publikumslieblinge, und der Popsänger Rafet El Roman darf als glutäugiger Romeo debütieren. Als politische Parabel taugt „Propaganda“ nur bedingt. Zwar karikiert der Film türkische Bürokratie und Staatshörigkeit, doch ist er dabei von einer kalkulierten Harmlosigkeit, die niemandem ernsthaft weh tut: Gesellschaftskritik auf dem Niveau der Werner-Filme. Dass am Ende des Films ein Soldat die Waffe gegen seinen Offizier erhebt, weil dieser auf die eigenen Landsleute schießen will, mag immer noch ein mittelschwerer Tabubruch sein in der Türkei. Doch wenig später liegen sich schon alle glücklich in den Armen. Und das wirkt in der Verharmlosung der realen Lage an der Grenze zu Syrien, auf Zypern oder im Konflikt mit den Kurden tatsächlich wie Propaganda.

„Propaganda“. Regie: Sinan Çetin. Mit Kemal Sunal, Metin Akpinar. Türkei 1999, 110 Min.

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