piwik no script img

Habibie sieht in Indonesien alles rosa

■ Präsident Habibie will mit Parlamentsrede seine Wiederwahl erreichen. Straßenschlachten zwischen Studenten und Polizei

Jakarta (taz) – Tausende Studenten protestierten auch gestern wieder vor dem Parlamentsgebäude in der indonesischen Hauptstadt Jakarta gegen den Versuch des unpopulären Präsidenten B. J. Habibie, in der nächsten Woche wieder das höchste Amt im viertbevölkerungsreichsten Land der Welt zu bekommen. An der Schnellstraße Gatot Subroto und vor der katholischen Atmajaya-Universität im Süden Jakartas warfen Studenten Steine und Brandsätze auf Polizisten, die ihrerseits Schlagstöcke, Wasserwerfer und Tränengas einsetzten. Noch am Abend wollte die Beratende Volksversammlung mit der Debatte über den Rechenschaftsbericht des Präsidentenbeginnen.

Schon vor und während der 30-minütigen Rede Habibies war es in der Umgebung des Parlaments zu Straßenschlachten zwischen 10.000 Studenten und der Polizei gekommen. Polizisten gaben Warnschüsse ab, 60 Verletzte mussten nach Angaben eines Fernsehsenders in Krankenhäuser gebracht werden. Habibie gelangte mit 40-minütiger Verspätung ins Parlament. Bereits am Nachmittag hatten Demonstranten versucht, vor seinem Haus im Stadtteil Kuningan zu demonstrieren.

In seiner Rede machte Habibie seinen Vorgänger Suharto für die Probleme des Landes verantwortlich und schrieb sich selbst alle positiven Entwicklungen in seiner 16-monatigen Amtszeit zu. „Es hat faire Wahlen gegeben, Pressefreiheit wurde ermöglicht, die Neutralität der Streitkräfte und Polizei aufrechterhalten und politische Gefangene wurden freigelassen“, sagte Habibie vor der 700-köpfigen Versammlung. Sollte das Gremium seine Rede nicht in einer für das Wochenende erwarteten Abstimmung akzeptieren, müsste Habibie seine Hoffnungen begraben, am kommenden Mittwoch wieder Präsident und damit erstmals von der Versammlung in das höchste Amt gewählt zu werden.

Habibie ist in seiner eigenen Golkar-Partei umstritten, die bei den Wahlen im Juni nur auf Platz zwei kam. Um seine Chancen mit Unterstützung des Militäts zu erhöhen, hat Habibie Verteidigungsminister und Generalstabschef Wiranto die Vizepräsidentschaft angeboten. Der hat noch nicht zu erkennen gegeben, ob er Habibies Angebot annimmt oder ein gleichlautendes der Wahlsiegerin Megawati Sukarnoputri, der populärsten Politikerin des Landes. Von den Reaktionen auf Habibies Rede dürfte abhängen, wie sich der Militärchef entscheidet. Seit Tagen drohen Anhänger Megawatis in Jakarta mit einem Marsch auf Jakarta, sollte sie nicht Präsidentin werden. Die Polizei hat vorsorglich 40.000 Mann mobilisiert.

Die Versammlung reagierte auf Habibies Rede distanziert, nur selten gab es Beifall, gelegentlich Buhrufe, einige Abgeordnete schliefen. Dreimal wurde Habibie sogar unterbrochen – für indonesische Verhältnisse völlig ungewöhnlich. Er entschuldigte sich für Menschenrechtsverletzungen, forderte die Bevölkerung der nach Unabhängigkeit strebenden Provinz Aceh zum Verbleib bei Indonesien auf und drängte die Versammlung, das Unabhängigkeitsvotum Osttimors zu akzeptieren.

„Weit von der Realität entfernt“, meinte der Vorsitzende der muslimischen Partei PKB zur Rede. Marzuki Darusman, ein Gegner Habibies aus dessen eigener Partei, sagte, er rechne damit, dass die Rede angenommen werde. Habibies Rivalin Megawati Sukarnoputri sagte, sie erwarte, dass ihre Partei dem Rechenschaftsbericht nicht zustimme. Um Präsidentin zu werden, ist sie auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen, hat sich denen gegenüber bisher jedoch arrogant und passiv verhalten. Sollte Habibie mit seiner Rede durchkommen, ist es trotzdem völlig offen, ob sie, er oder der dritte Kandidat Aburrahman Wahid alias „Gus Dur“ nächste Woche das höchste Staatsamt erringt. Die Studenten wollen auf jeden Fall verhindern, dass es an Habibie geht. Sven Hansen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen