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Ein Koffer erzählt das letzte Kapitel

Stuttgarter Journalisten werten den Nachlass von Oskar Schindler aus. In einem Koffer gefundene Briefe verraten, dass der Retter von 1.200 Juden nach dem Krieg nie mehr richtig Fuß fassen konnte    ■ Aus Berlin Christian Semler

Während sich dieses Wochenende die Juristen und Firmenvertreter des „Industriefonds“ zur Entschädigung der Zwangsarbeiter des 2. Weltkriegs für eine weitere Verhandlungsrunde in Bonn wappnen, haben Claudia Keller und Stefan Braum von der Stuttgarter Zeitung für eine kontrastierende historische Begleitmusik gesorgt. Sie begannen mit der Veröffentlichung des Nachlasses von Oskar Schindler, der jahrzehntelang in einem Samsonite-Koffer auf einem Dachboden in Hildesheim, dem letzten Wohnort Schindlers, gelegen hatte.

Die führenden deutschen Industrieunternehmen hatten aus der Ausbeutung von Sklavenarbeit bis zum bitteren Ende Riesenprofite erwirtschaftet. Schindler, auch er ein Unternehmer, hat alles, was er noch hatte, zu Geld gemacht, um das Leben von 1.200 KZ-Sklavenarbeitern zu retten. Aber Schindler war ja auch kein richtiger Unternehmer, wie sein Schicksal in der Nachkriegszeit beweist.

Nach der Auskunft der Stuttgarter Journalisten enthält der Koffer ein Original und zahlreiche Abschriften der Liste mit den Namen der jüdischen KZ-Häftlinge, die Schindler den SS-Bürokraten abgehandelt hat, daneben auch zahlreiche – mittlerweile identifizierte – Fotos, Lagepläne seiner Fabrik in Auschwitz, Versicherungspolicen und anderes mehr.

Wichtiger noch als diese Funde sind die Dokumente, die Schindlers Leben in der Nachkriegszeit aufhellen. Sie unterrichten uns von seinem vielfachen Scheitern als Unternehmer, seinen Pleiten und stets vergeblichen Versuchen des Neuanfangs, sie zeigen uns aber auch die rührenden, stets wieder erneuerten Versuche seiner ehemaligen Schutzbefohlenen, ihrem Retter finanziell auf die Beine zu helfen. Es werden diese Dokumente sein, die die kalte deutsche Geschichte nach 1945, die Geschichte des „Falls“ Schindler, für uns aufschließen werden.

Im Gefolge von Spielbergs Film wurde Oskar Schindler in Deutschland zu einem Heros, mit dem sich all jene identifizieren konnten, denen bei Lichtgestalten etwas mulmig zumute war. Schindler, darüber unterrichtet uns Spielberg, war ein Hallodri, ein Nazi-Opportunist, der sich allerdings angesichts des Grauens seiner Menschlichkeit besann. Und der dann, getrieben von den Ereignissen, zu jenem Mut und zu jenem Erfindungsreichtum fand, der die Opfer rettete.

Er war ein guter Deutscher nicht nur im Sinne jener, die sich stets um unser Ansehen im Ausland sorgen, sondern auch derer, die nach einer authentischen moralischen Instanz suchen. Aber wie hätten wir in den 20 Jahren nach 1945 in Deutschland auf ihn reagiert? Schindler galt damals als lästiger Fall für die Lasten-Ausgleichs-Behörden.

Aus dem, was uns bislang aus dem Inhalt seines Koffers mitgeteilt wurde, geht hervor, wie wenige Menschen sich seiner annahmen. Der Frankfurter Probst Dieter Trautwein gehörte dazu, die Stadträtin Lotte Schiffler, der Vorstandssprecher der Bank für Gemeinwirtschaft. Sie sorgten dafür, dass Schindler schließlich eine kleine Rente von 500 Mark monatlich bezog, dazu eine einmalige Summe von 10.000 Mark, die er freilich, untüchtiger Geschäftsmann, der er war, sogleich wieder unter die Leute brachte.

Schindler sehnte sich nach Anerkennung in Deutschland. Er hätte es gern gesehen, wenn sich Hollywood seiner Rettungstat angenommen hätte. Aus den Dokumenten geht hervor, dass der große Fritz Lang zu Beginn der 50er-Jahre mit einem Filmprojekt spielte. Leider wurde nichts draus. In den 60er-Jahren liegt ein Skript bei Metro-Goldwyn-Meyer. Damals wendet sich Karl Carstens, zu jener Zeit Staatssekretär im Außenministerium und später Bundespräsident, besorgt an deutsche Instanzen, weil Schindlers Ansprüche in Deutschland noch nicht positiv beschieden seien. Das könnte in den USA böses Blut machen, falls das Filmprojekt zustande käme.

Aber Carstens' Befürchtungen stellten sich als gegenstandslos heraus – auch dieses Projekt scheiterte.

Aus den 70er-Jahren ist uns eine Aufnahme Schindlers überliefert, ein traurig aussehender, scheuer Mann, dem von seiner Lebenslust wenig geblieben ist. Er ist, wie man heute so sagt, „nicht angekommen“. Als ob die Zeit von 1943 bis 1945 Schindlers Lebenselan aufgezehrt hätte, wie sie die Energie so vieler der Opfer des Regimes aufgebraucht hat. Aber diese zweite Hälfte seines Lebens, wie sie sich dank der Funde im Hildesheimer Samsonite-Koffer erhalten hat, ist kein uninteressanter Epilog, sondern macht seine Geschichte erst zu einer deutschen. Die Nachkommen von Schindlers letzten Freunden in Hildesheim haben das Material den Stuttgarter Journalisten überlassen (übrigens ohne finanzielle Gegenleistung). Ihnen und den Journalisten aus Stuttgart gebührt schon jetzt Dank für diese Deutschstunde.

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