: Mit der strengen Attitüde einer Alditüte
■ Grauenhafte Ausstellung zum 50. Geburtstag der DDR eröffnet
Chemnitz (taz) – Ein riesiges Laken, quer über den Chemnitzer Theaterplatz gespannt und mit merklichem Grauschleier, weist dem kunstsinnigen Besucher den Weg zur Ausstellung „Grau in Grau“. Doch auch der Tourist, der ahnungslos zu Lew Kerbels mächtigem Karl-Chemnitz-Monument pilgert, bekommt Grau ab, und das nicht zu knapp: Die ganze Stadt scheint eigens für diese anspruchsvolle Grau-Schau in die „Farbe der ehemaligen DDR“ gehüllt.
Das scheint eine ganz besondere Farbe zu sein: Der frühe Monet musste an „Frühe, Kühle, Dämmerung“ denken, und dem Impressionisten Camille Pissarro kam gar der „Stoff von Unterhosen“ in den Sinn. So unterschiedlich Künstler aller Epochen und Couleur die Farbe Grau auch empfanden, den wenigsten ging es wie dem Expressionisten Wassily Walch, der angesichts der Werke seiner Kollegen von der Künstlergruppe „Der Graue Reiter“ keinerlei Sehnsucht nach Reinem verspürte.
Und nun wird die historische Chance genutzt und anlässlich des 50. Geburtstags der DDR die ganze Vielfalt der „Grauzone“ ausgebreitet. Zentraler Sitz und Unterstand der Ausstellung, die neben Klassikern der Moderne und der DDR-Kunst vor allem junge, noch unbekannte ostdeutsche Künstler präsentiert, ist ein Seitentrakt der Chemnitzer Städtischen Kunstsammlungen.
Von Willi Sittes „Grauem Stilleben“ bis zu „Grau gelöst“, von Eberhard Fröschels „Grauer Lagune“ bis zu Ivan Navratils „Grauen Bildern über die Liebe“ bringt die Ausstellung viel Graues und noch mehr Grauenhaftes zusammen. Was nämlich das Feldgrau von Uniformen mit der Farbe des Grauen Reiters zu schaffen hat, bleibt fraglich. Wassily Walchs Lieblingsfarbe, deren „innerer Klang“ auch auf den Bildern seines Künstler-Freundeskreises aufs schönste vernehmlich wird, lässt sich auch bei Johannes Heisig erhorchen, wenn kühles Mausgrau eine rote Liegende untermalt; anderswo vermischen sich Grau-Frau-Kontraste zu erotischen Tableaus von ungeahnter Leuchtkraft.
Hubertus Giebe, der „Picasso von der Pleiße“ (Leipziger Volkszeitung), zeigt in den Werken seiner „grauen Periode“ undeutliche Gegenstände in Grauweiß, zumeist frontal, unter diffusem, fast schattenlosem Licht, entrückt in eine dauernde Monumentalität, deren nüchtern-feierliche Stimmung den Betrachter mit der formal strengen Attitüde einer Alditüte hinterfängt.
Oder: Mit dem Motiv der „Grauen Grotte“ von Capri führt Klaus Mengs eindrucksvoll die frühere Abgeschnittenheit der ehemaligen DDR-Bewohner von der bunten Welt der westlichen Ferienparadiese vor. Überhaupt: Nicht totzukriegen diese „Gunst“ (Ausstellungsleiter Ollert), auch wenn sie oft sehr merklich im Saft der eigenen Geschichte schmort. Nur selten verquickt sie banale Klischees und hehres Erbe mit proletarisch-saloppem Witz, wie etwa der Bitterfelder Arnim Patzke, der seine Werktätigenheere lakonisch im grauen Orkus der Mülldeponie versinken oder eine Armada von Trabbis ins Nebelloch des Grauens rasen lässt. Beklemmende Botschaften allemal, mit zuckendem Duktus auf die Leinwand geworfen, die sich einer gefälligen Betrachtung entziehen und den Besucher nachdenklich entlassen.
Dann aber, im Lichthof des Museums, erreicht die Ausstellung einen so monumentalen wie dramatischen Höhepunkt: Dirk Meuses „Mahnmal des unbekannten Künstlers“, ein bizarr in die Zukunft weisendes, 3 Meter hohes Fragezeichen aus Felbertauern-Granit, an dessen Basis der Künstler ein ewiges Licht platzierte, ist ein Monument von verwirrender Tiefenwirkung, mit dem Meuse eine sehr persönliche Deutung der desolaten Situation des Künstlers an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend gewagt hat.
Rüdiger Kind
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