■ Kommentar: Willkommen im Leben, CDU! Christdemokraten entdecken die PDS für sich neu
CDU – mitten im Leben. Unter diesem Motto sind Parteichef Wolfgang Schäuble und Generalsekretärin Angela Merkel vor einem Jahr angetreten. Nach der Niederlage des Überfliegers Helmut Kohl bei der Bundestagswahl wollten sie ihre Partei wieder auf den Boden der gesellschaftlichen Realitäten holen. Das ist ihnen in Bezug auf den Osten jetzt gelungen. Die CDU befindet sich mit ihrem Kurswechsel gegenüber der PDS zehn Jahre nach der deutschen Einheit mitten im Leben. Herzlich willkommen!
Die PDS, so lautet die Botschaft von Schäuble und Merkel, ist mehr als die alte SED. Die CDU dürfe die Partei nicht ausschließlich über ihre Vergangenheit definieren, sondern müsse sich mit ihr inhaltlich auseinandersetzen.
Nun ist das nicht gerade eine bahnbrechende Erkenntnis. Die PDS fährt seit Jahren einen Wahlerfolg nach dem anderen ein, und der Grund dafür liegt nicht etwa darin liegt, dass Gysi zurück zu Honecker und Mielke will. Aber vielleicht sollte man bei einer Partei, die bis vor einem Jahr im Osten noch mit roten Socken und plattem Antikommunismus Wahlkampf gemacht hat, etwas nachsichtig sein. Die CDU bewegt sich und erkennt die Realitäten im Osten an. Immerhin.
Mehr als das ist es aber auch nicht. Es schlägt sich politisch zunächst in nichts nieder, die CDU gewinnt in den nächsten zehn Jahren damit auch keinen neuen Koalitionspartner. Etwaige Spekulationen über eine Annäherung der beiden Parteien oder schwarz-rote Regierungsbündnisse sind gegenwärtig ausgemachter Quatsch. Dass CDU und PDS Bodentruppen im Kosovo abgelehnt haben und gegen die rot-grünen Rentenpläne sind – daraus kann man noch lange nicht schließen, dass hier zwei Parteien zueinander finden werden, die, im Gegensatz zur SPD, angeblich eine konservative Grundhaltung und eine gewisse Werteorientierung gemeinsam haben.
Trotzdem ist der CDU ihr Schwenk selbst nicht ganz geheuer. Sie fürchtet, mit ihrer Annäherung die PDS endgültig hoffähig zu machen. Nach Protesten aus den eigenen Reihen behauptet Angela Merkel plötzlich, Gysi mache der CDU Avancen, um sie neben der SPD gleich mit zu zerstören. Ja, ja, und dann kommt der böse Wolf und frisst das rote Käppchen von Frau Merkel. So ist das mitten im Leben. Jens König
Bericht Seite 5
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