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Der alte Schelm mahnt die gebeutelte Jugend

Zwar hält der Komiker Loriot es selbst für unwahrscheinlich, einmal jung gewesen zu sein. Dennoch durfte der 75-Jährige als Festredner auf der zentralen Immatrikulationsfeier der Freien Universität dem Akademikernachwuchs empfehlen, die Eltern besser zu erziehen    ■ Von Ute Scheub

Sie wissen doch: These und Antithese ergeben eine neue Synthese. Steife preußische Immatrikulationsfeiern ab 1948 und antiautoritäres Austreiben des „Muffs von tausend Jahren unter den Talaren“ nach 1968 ergeben 1999: ? Ja, was wohl? Die Leitung der Freien Universität grübelte, die Köpfe rauchten. Nach überstandenem 50-jährigen Uni-Jubiläum wollte man nun endlich wieder zur schönen?, alten?, auf jeden Fall jahrzehntelang unterbrochenen Tradition einer zentralen Immatrikulationsfeier zurückkehren. Welche Berühmtheit war honorig genug, grüne und blühende Erstsemester mit feierlicher Rede zu begrüßen? Ein Zivildienstleistender hatte die entscheidende Eingebung: Loriot! Vicco von Bülow, die denkbar beste Synthese: alten preußischen Geschlechtes, aber voller augenzwinkernder Subversion.

Und so kam es denn, dass gestern das FU-Audimax unter der scheinbar vollzähligen Anwesenheit sämtlicher 4.500 Neuimmatrikulierten aus allen gemauerten Fugen platzte. Geduldig, gänzlich ohne antiautoritäres Mucken und Murren, lauschten diese den trockenen Reden von Medizindekan Martin Paul („liebe Studenten und Studierende“) und FU-Präsident Peter Gaehtgens („liebe Studenten und Studenten“). Über deren Köpfen prangte, ganz und gar nicht als Synthese, sondern in alter exorbitanter Hässlichkeit nun auch wieder das 1968 in Flammen aufgegangene Wappen der FU: „Veritas – Iustitia – Libertas“. Ein zähnefletschender Bär in einer blauen Badewanne, just im Begriff, eine brennende Fackel zu verspeisen.

Auch Loriot gab an, sich den Mund verbrennen zu wollen, indem er „nach Vollendung des 75. Lebensjahrs eine Rede an die Jugend“ halte. Die schelmische Bemerkung „Ich bin auch mal jung gewesen“ wirke „ziemlich unwahrscheinlich“, gab er zu. „Wahrscheinlicher ist es, dass alte Menschen in abgelegenen Teichen auf Störche warten, damit sie irgendwohin gebracht werden, wo sie noch von Nutzen sind.“

Der gebeutelten Jugend von heute, „entbunden, von der Brust entwöhnt, zum Abitur gezwungen und wieder an die Luft gesetzt“, wusste er so manchen nützlichen Ratschlag auf den weiteren Lebensweg zu geben. Erwachsene hätten leider keine Ahnung von ihrem Nachwuchs, und bedauerlicherweise unterwerfe sie auch niemand vor der Produktion desselben einem führerscheinähnlichen Eignungstest. Deshalb sei es wichtig für die Kinder, ihre Eltern „zu ordentlichen und gebildeten Mitgliedern der Gesellschaft“ zu erziehen. Das sei nicht einfach, gab er zu. Es wäre wesentlicher einfacher, wenn „Eltern und Kinder gleichzeitig auf die Welt kämen“: Der gemeinsame Spracherwerb lasse sich „im Austausch pädagogischer Argumente“ wahrscheinlich spielerisch leicht lernen.

Eine schwierige Angelegenheit, führte von Bülow weiter aus, sei auch seine eigene Selbsterziehung zu mehr sportlicher Jugendlichkeit. Er habe neulich Sportschuhe kaufen wollen, und alle Paare, die er probierte, „hatten eines gemeinsam: Ich sah aus, als sei ich in eine Sahnetorte getreten.“ Die Verkäuferin habe das nicht bestritten, beim Anblick seiner alten Schuhe jedoch angegeben, damals „noch nicht gelebt zu haben“.

Ähnlich unüberwindbare Probleme biete auch die neue Technik. „Wenn das Handy läutet und man hält den Rasierapparat ans Ohr, können Sekunden über Leben und Tod entscheiden.“ Deshalb wusste der Festredner seinen Vortrag mit der Mahnung eines alten, weisen und manchmal sogar zu Ernsthaftigkeit neigenden Mannes zu beschließen: „Ich hoffe, ihr werdet nicht auf sämtliche Knöpfe drücken, die eine schrankenlose Technik zur Verfügung stellt, und nicht alles machen, was machbar ist.“ Das Publikum stimmte ihm mit stehenden Ovationen zu.

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