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Überall Atombomben

■ Die USA hatten in viel mehr Ländern als zugegeben Nuklearwaffen stationiert

Berlin (taz/AFP) – Zwischen 1961 und Mitte 1963 lagerten US-amerikanische Atombomben auf dem US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba – wenn auch ohne ihren radioaktiven Kern, der wenige hundert Kilometer entfernt in Florida zurückgehalten wurde. Von 1954 bis 1963 lagen einsatzbereite US-Nuklearsprengsätze in Marokko, von denen die Kolonialmacht Frankreich nichts wusste. Und auf Island, einem Staat mit strikter pazifistischer Haltung, tickte die Bombe von 1956 bis 1959.

Dies berichtet die Fachzeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists, deren Autoren Robert Norris, William Arkin und William Burr eine bislang geheime Studie des Pentagon vorlag. „Bisher gab es keinerlei offizielle Angaben darüber, wo, wann und welche Nuklearwaffen in Übersee stationiert wurden“, schrieben sie. „Jetzt haben wir endlich zuverlässige Informationen über deren Präsenz an so überraschenden Orten wie Japan, Grönland, Island und Taiwan.“ Die betroffenen Regierungen hatten stets öffentlich eine Stationierung atomarer Waffen abgelehnt und abgestritten.

Deutschland habe als Frontstaat von März 1955 bis heute unter den Nato-Mitgliedern bei weitem die meisten Atomwaffen beherbergt. „Als die Zahl der Nuklearwaffen der Nato 1971 mit 7.300 ihren Höhepunkt erreichte, wurde davon rund die Hälfte in Deutschland gelagert.“ In den späten 50er-Jahren erhielt die Bundesluftwaffe dabei weitreichende faktische Kontrolle über in Deutschland stationierte US-Atomwaffen, schreiben die Autoren. Im Alarmfall hätten die Piloten wohl selbstständig über deren Einsatz entscheiden können.

In der Pentagon-Studie, die 1978 verfasst wurde und um deren Freigabe die Autoren seit 16 Jahren gekämpft hatten, geht es um die weltweite Stationierung von Atomwaffen der USA zwischen 1945 und 1977. 12.000 US-Nuklearsprengsätze waren in 27 Ländern gelagert, 18 davon waren souveräne Staaten.

Bereits 1954 habe Washington die Erlaubnis zur Stationierung nicht-atomarer Waffenteile in Japan gegeben. Nicht-atomare Einzelteile seien dorthin gebracht worden, um im Bedarfsfall eine Bombe bauen zu können. Sie seien bis 1965 dort geblieben, ohne dass Washington dies „angesichts der Sensibilität dieser Frage“ jemals zugegeben hätte, hieß es. Von Japan aus hätten im Fall eines Konfliktes China und die Sowjetunion angegriffen werden können, hieß es weiter.

Nuklearwaffen der USA – es sind heute nur noch ungefähr 150 – sind nach Arkins Erkenntnissen noch in sieben anderen Staaten stationiert: Belgien, Deutschland, Großbritannien, Griechenland, Italien, die Niederlande und die Türkei. sf

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