: Bremen – eine 'schlechte Wallfahrtstätte'
■ Eine Untersuchung über die Verwaltungsreform in den Stadtstaaten zeigt: Bremen nutzt die Chancen der „Kleinheit“ nicht, sondern leidet an den Kosten als Folge seiner Kleinheit
„Stadtstaaten im Modernisierungsfieber?“ ist der Titel eines Arbeitsberichtes, der in diesen Tagen im Kellner-Verlag als Buch erschienen ist. Im Kooperationsbereich Arbeiterkammer/Universität haben Rolf Prigge, Martin Prange und Andreas Bovenschulte die Strukturen der Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin verglichen. Wir fragten die Autoren nach den politischen Schlussfolgerungen aus dem vorgelegten Material.
taz: Stadtstaaten im Modernisierungsfieber? heisst Ihr Buch, aber warum das Fragezeichen?
Prigge: Bremen hat keinen Modernisierungsvorsprung. Das Buch hat daher im Titel das Fragezeichen. Bremen ist noch nicht über den Berg.
taz: Gibt es irgend einen Bereich, in dem man sagen könnte: Im Großstädtevergleich müssten die Leute aus Duisburg, Hamburg und München nach Bremen fahren und sich angucken, wie innovativ dieser Stadtstaat das organisiert hat? Irgend ein vorzeigbarer Teilbereich?
Andreas Bovenschulte: Im Ländervergleich sind die Stadtstaaten weit vorne. Im kommunalen Vergleich kann man das nicht sagen. Das hat aber damit zu tun, dass die Verwaltungsreform ursprünglich eine kommunale Angelegenheit war. Aber im Bereich Personalcontrolling liegt Bremen vorn.
Martin Prange: Die anderen Stadtstaaten und auch Großstädte können nicht so einfach sagen, wie viele Leute wo eingesetzt sind. Bremen hat den Vorsprung, weil das Controlling und der Personalabbau schon in den 80er Jahren begann.
taz:: Druck macht schlau?
Prange: Ja.
Prigge: Es gibt hier allerdings keine ganzheitliche Modernisierungsstrategie. Da hat Berlin Maßstäbe gesetzt. Dort wurde eine Verfassungsreform verbunden mit einer Verwaltungsreform, sie haben das Parlament verkleinert, sie verlagern Aufgaben auf die Bezirke und sie reduzieren die Zahl der Bezirke. Und Berlin hat die Länderneugliederung mit Brandenburg versucht, aus Bremer Sicht kann man sagen: Das ist glücklicherweise gescheitert ...
taz: Es wäre sinnvoll gewesen?
Prigge: : Das würden wir nicht so sagen. Man kann auch als kleinerer Stadtstaat unter annehmbaren Rahmenbedingungen gut entwickeln.
taz: Aber die Rahmenbedingungen sind nicht annehmbar.
Prigge: Die Rahmenbedingungen müssen geändert werden, der Bund-Länder-Finanzausgleich benachteiligt alle Stadtstaaten und im übrigen auch alle Großstädte.
taz: Stadtstaaten wie Bremen haben die Chance, Laboratorien der Demokratie zu sein.
Bovenschulte: Bei den „harten“ Strukturen, etwa Volksbegehren, Volksentscheid, wäre Bremen eine schlechte Wallfahrtsstätte, da ist es besser, nach Bayern zu gehen. Darunter liegende Kommunikationsprozesse sind in einem überschaubaren Stadtstaat leichter und intensiver als in einem Flächenstaat.
taz: Da müsste man Bremen aber mit Duisburg vergleichen.
Prange: Dazu fehlt uns die empirische Bestandsaufnahme, wie sich Partizipation dort vollzieht.
taz: In dem Buch gibt es kritische Bemerkungen zur geplanten Parlamentsverkleinerung.
Bovenschulte: Ein großes Parlament bedeutet eine große Repräsentationsdichte. Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass Bürger und Bürgerinnen auch mal mit ihren Abgeordneten sprechen können. Man muss in den Stadtstaaten zudem die Größe der Landesparlamente auch mit den Stadträten anderer Großstädte vergleichen. Wenn eine Verkleinerung dazu führt, dass die Rolle der Parlamentarier professionalisiert wird, dann kann die Legislative gegenüber der Exekutive gestärkt werden.
taz: In Bremen soll an den Diäten gespart werden.
Bovenschulte: Wenn die Verkleinerung nur zum Sparen benutzt wird, dann bedeutet das weniger Demokratie.
taz: Warum?
Bovenschulte: Nach unserer Verfassung soll das Parlament eine dominierende Rolle haben, weil da die unmittelbar vom Volk gewählten Vertreter sitzen. Wenn man das Parlament verkleinert, ohne seine Arbeitsbedingungen zu verbessern, entzieht man ihm Kompetenzen.
taz: Wenn staatliche Funktionen in GmbH's ausgelagert werden, ist weniger zu kontrollieren.
Prange: Das berührt auch Haushalts-Rechte des Parlaments. Dem professionell arbeitenden Apparat steht eine Laienspielschar im Parlament gegenüber.
Bovenschulte: Natürlich stimmt das Parlament seiner Entmachtung auch immer selbst zu. Wenn der öffentliche Diskurs nur darauf hinausläuft, dass das Parlament unnötig viel Geld kostet – das hat in Deutschland eine bedenkliche Tradition – dann trägt das dazu bei, dass das Selbstbewusstsein der Parlamentarier abnimmt. Daher ist es wichtig, das parlamentarische Selbstbewußtsein zu stärken.
taz: Der Finanzsenator hat kürzlich bei der Vorstellung des Haushaltes gesagt: Durch hartes Sparen und Investieren schaffen wir die Sanierung aus eigener Kraft.
Prange: Die konkreten Finanzpläne sprechen eine andere Sprache. Das ist so nicht in den Griff zu bekommen. Um es deutlich zu sagen: Für Bremen ist eine große Hoffnung, dass Berlin in einer ähnlich beschissenen Situation ist. Wenn man die Abgeordneten auf einen rigorosen Sparkurs einschwören will, dann haben solche Sätze natürlich eine Funktion. In der Diskussion um die Neuregelung des Finanzausgleiches wird man etwas anderes sagen müssen: Die Finanzprobleme der Großstädte lassen sich mit der bisherigen Verteilung nicht lösen.
taz: Es gibt den berühmten Satz von Bürgermeister Duckwitz, dass die Freiheit Bremens nur dann gesichert ist, wenn sie auch für die anderen im Bunde ein Gewinn ist.
Prange: Die Probleme, die Bremen hat, hängen nicht an der Kleinstaaterei. 120 Millionen Mark bekommt Bremen jedes Jahr für die sogenannten „Kosten politischer Kleinheit“. Allein die Zinszahlungen für die Schulden sind um ein Vielfaches höher. Bremen muss sich stärker verstehen als Interessenvertretung für die Großstädte.
taz: Das passiert bisher nicht?
Bovenschulte: Bremen spielt in zwei Ligen, der Großstadt-Liga und der Länder-Liga. Schon die Kooperation Bremens mit Oldenburg hat immer darunter gelitten, dass es für den Bremer Bürgermeister immer vom Ranking her ein Problem war, sich primär als Großstadt-Bürgermeister zu sehen. Aber die Probleme Bremens sind zu 95 Prozent Großstadt-Probleme und nur zu fünf Prozent Probleme der Landesgrenze. Diese fünf Prozent könnte man durch die Beseitigung Bremens lösen, mehr nicht.
Fragen: K.W.
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